Kulturmacher

Wie eine Berlinerin der Varieté-Kunst neues Leben einhaucht

| Lesedauer: 6 Minuten
Ulrike Borowczyk

Foto: Massimo Rodari

Seit 2004 leitet Anke Politz das Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen. Durch eine Mischung aus Tanztheater und Akrobatik versucht sie, das als verstaubt geltende Genre Varieté neu zu beleben.

Wer den schönen Jugendstilsaal und die visuell opulenten Shows des Chamäleons in Berlin-Mitte kennt, ist angesichts der sachlichen Produktionsräume des Varietés mit Allerweltsbüros und blauer Auslegdutzendware schon ein wenig enttäuscht. Doch Anke Politz, Künstlerische Leiterin des Hauses und damit Garantin für stets aufs neue überraschende circensische Aufführungen, lässt diese Nüchternheit mit ihrer großen Liebe zum Chamäleon und ihrer tiefen Hingabe an das Genre schnell verblassen.

Gerade jetzt kann sie ihren Enthusiasmus kaum bremsen. Von morgen an stehen nämlich Voraufführungen von „Beyond“ auf dem Spielplan. Es ist die zweite Produktion der australischen Kompanie „C!RCA“ im Chamäleon, die bereits 2011 mit „Wunderkammer“ für Furore sorgte. Anke Politz hat beide Shows nach Mitte geholt. Das gehört zu ihrem Job und ist eigentlich nicht weiter erstaunlich. Im Gegensatz zu anderen Produktionen kannte sie „Beyond“ jedoch gar nicht. „C!RCA“-Chef Yaron Lifschitz hatte ihr lediglich von seiner Idee dazu bei einem Glas Wein erzählt. Er wolle eine Show machen, die sich mit der menschlichen Natur beschäftigt, die fragt, was uns menschlich macht.

Anke Politz mag die Kompanie seit der ersten Zusammenarbeit und ihre Art, modernes Tanztheater mit Akrobatik zu einem ungewöhnlichen Varieté-Erlebnis zu verschmelzen. Also entschied sie aus dem Bauch heraus, dass sie auch die neue Show haben möchte. Und es ist genau dieses Gefühl, das sie so einzigartig macht in der Berliner Kulturszene. Sie hat ein Gespür für eben jene unwiderstehliche Mischung aus anspruchsvoller Unterhaltung und urbanem Lebensgefühl, mit der das Chamäleon zu einer der besten und innovativsten Varieté-Bühnen Deutschlands avanciert ist.

Vom Off-Varieté zur Showbühne

„Beyond“ entstand zwar eigens für das Chamäleon, ist aber keine Koproduktion. Zumindest nicht in finanzieller Hinsicht. „Inhaltlich gehen wir aber mit in die Proben. Im kreativen Prozess stecken Künstler oft unter einer Glasglocke. Da ist es für mich wichtig, ein Feedback zu geben“, erklärt sie. Zudem stellt sie sich dabei die Frage, wie sich das Haus mit der Produktion präsentieren will. Künstlerische Freiräume bleiben dennoch gewahrt, denn Anke Politz steht ganz in der Tradition der Gründer um Hacki Ginda. Die etablierten das Chamäleon 1991 als modernes Varieté, das Künstlern eine Bühne gibt, auf der sich Freigeister ausprobieren können. Ein ambitioniertes Konzept, das jedoch zunächst scheiterte. Das Chamäleon ging 2004 in die Insolvenz, wurde aber wenige Monate später wiedereröffnet mit der damals 30-jährigen Anke Politz als jüngster Direktorin eines solchen Hauses. Sie verwandelte das Off-Varieté in eine moderne Showbühne.

Die Direktion hat Anke Politz mittlerweile an Hendrik Frobel abgegeben. Heute ist sie nicht nur für das künstlerische Profil des Theaters zuständig, sondern auch als Geschäftsführerin der Chamäleon Productions für hauseigene Produktionen. Lust auf Kultur hatte sie schon immer. Bereits in der Schule hat sie Musikbands gemanagt, Theaterluft und Live-Performances geliebt. Dann hat sie aber erst mal ganz solide eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Vom kleinen Dörfchen Wallhausen bei Sangerhausen in Sachsen-Anhalt kam sie 1996 ursprünglich nach Berlin, um Publizistik zu studieren. Erklärter Berufstraum: Kulturjournalistin. Es folgten Praktika in einigen Agenturen, bis sie einen Job als Assistentin bei Vivi Eickelberg annahm, damals Managerin erfolgreicher Musiker wie Klaus Hoffmann und Heinz-Rudolf Kunze. „Da habe ich mein Handwerk von der Pike auf gelernt und gemerkt, dass ich eine Managerin bin“, sagt Anke Politz.

Theatersaal mit positiver Energie

2002 kam sie als Mitarbeiterin im Pressebereich ans Chamäleon. Dabei stand das Varieté zunächst nicht weit oben auf ihrer Hitliste. „Ich hatte anfangs das klassische Klischee von einer verstaubten Kunst im Kopf“, sagt Anke Politz. „Doch dann kam ich hier herein und habe sofort diese ungeheure Lebendigkeit gespürt und die Artisten kennen gelernt mit ihrer starken Lust, das Genre immer wieder neu zu erfinden.“

Für sie hat das Haus eine echte Magie. Sie strahlt, wenn sie davon erzählt, wie verliebt sie in den Theatersaal ist, der für sie eine positive Energie besitzt. Sie schätzt auch das enge Miteinander von Künstlern und Mitarbeitern, deren Hingabe ans Chamäleon. „Ich hoffe, dass wir es schaffen, dieses Gefühl authentisch rüberzubringen“, sagt sie.

„Für Bands und Seifenblasenkünstler“

Natürlich wäre das Chamäleon undenkbar ohne das Flair der Hackeschen Höfe, deren unstrittiger Glanzpunkt das Varietétheater ist. „Wir alle sehen die Höfe als unser Zuhause. Es herrscht eine große Verbundenheit mit den anderen Mietern, den Geschäften und den Restaurants. Zudem gibt es rund um die Litfaßsäule im ersten Hof einen kleinen Raum für das wilde Berlin, für Bands und Seifenblasenkünstler, also Performer“, beschreibt sie die Atmosphäre. Die touristische Beliebtheit der Höfe nutzt das Chamäleon selbstredend: „Wir spielen nonverbale Shows, um dem internationalen Publikum gerecht zu werden.“

So sehr Anke Politz die Dynamik und die Hektik rund um das Theater liebt, ist sie nach getaner Arbeit froh, mit dem Fahrrad rausfahren zu können zum heimatlichen Arminplatz. Eine ruhige, wenig trendige Gegend im Norden von Prenzlauer Berg. „Da ist es ein bisschen verschlafen. Schön still nach dem täglichen Trubel“, findet sie. Ein Ort zum Kraftschöpfen bis zum nächsten Morgen. Denn ihren Aufgabe im Chamäleon versteht Anke Politz auch als Lobby-Arbeit: für ein ganzes Genre, von dem noch immer viel zu viele die altmodischen Zirkusbilder im Kopf haben.

Chamäleon Theater Rosenthaler Straße 40/41, Berlin-Mitte, Tel. (030) 400 05 90, Voraufführungen „Beyond“ bis 5. August 2013, Premiere am 8. August 2013, 20 Uhr, Karten ab 36 Euro

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