Terrence-Malick-Filme spalten das Publikum. Es gibt regelrechte Jünger, die bei seinen Werken in Trance, Rausch, ja Verzückung geraten. Es gibt aber auch solche, die sich unsäglich langweilen und über Kitsch und Kunstgewerblichkeit maulen. Das muss man wissen, wenn man sich auf sein neues Werk einlässt. Sage niemand, wir hätten ihn nicht gewarnt! Aber wer ein Kino liebt, das mal nicht nur von so vordergründigen Dingen wie Handlung und Dialogen bestimmt wird, sondern durch Stimmungsbilder und Momentaufnahmen, die einfach nur zeigen, zeigen, zeigen, dem gehen hier Augen (und Ohren) über. Willkommen im Universum eines der größten und eigenwilligsten Kino-Magiers von Amerika.
Der Mann hat ein wahrlich schmales Oeuvre erschaffen. Gerade mal sechs Filme in 39 Jahren. Umso erstaunlicher, dafür kultisch verehrt zu werden. Schon nach seinem ersten Film, „Badlands“ (1973), wurde er in einem Atemzug mit Orson welles und G. W. Pabst genannt. Nach dem zweiten, „In der Glut des Süden“ (1978), schien dann schon Schluss zu sein. Zwei Dekaden lang ließ der Meister nichts mehr von sich hören.
Dann aber das triumphale Comeback auf der Berlinale 1998 mit „The Thin Red Line“, dem wohl seltsamsten und ungewöhnlichsten Kriegsfilm, der je gedreht wurde. Seither macht er so alle sechs Jahre einen neuen Film, „The New World“ (2005) über die Eroberung Amerikas oder „The Tree of Life“ (2011) über seine eigene Kindheit, der in Cannes die Goldene Palme gewann. Und wie sonst nur Woody Allen muss dieser Mann, der im November 70 wird, nur sanft winken, und die größten Stars stehen selbst fr kleinste Parts Schlange.
Verliebung und Entfremdung
„To the Wonder“ nun ist ein Film über die Liebe. Oder über die Unmöglichkeit der Liebe. Ein Amerikaner (Ben Affleck) lernt in Paris eine Exilrussin (Olga Kurylenko) kennen und lieben. Und nimmt sie mit in die Staaten. Aber der Alltag in der öden Westernprovinz von Oklahoma ist dann doch etwas anderes als die Schmetterlinge im Bauch der Alten Welt. Und so versauert die Russin in der Fremde, die ihr immer fremd bleiben wird, und der Amerikaner, unfähig, seine Gefühle (und seine Enttäuschung) zu verbalisieren, wird auch immer schmallippiger. Hat einen Rückfall mit seiner Ex (Rachel McAdams), versucht es doch noch mal. Scheitert wieder. Hier eine Entfremdung, da eine Ernüchterung.
Das alles wird, wie gesagt, weitestgehend ohne Dialog erzählt. Und auch nicht linear. So ist das bei Malick: Es ist eher ein Assoziationsbogen, den man sich wie ein Puzzle, wie ein Mosaik zusammensetzen muss: Menschen, die durch die Natur tollen. Sonnenlicht, das durch das Laub der Bäume blinzel. Wellen, die Muster in den Sand malen. Und immer wieder der Wind, der über Grashalme streicht oder übers Haar der Darstellerinnen. Die Kamera fängt das nicht nur ein, sie ist in permanentem Schwebezustand, sie gleitet und irrlichtert durch ihre eigenen Bilder. So ungefähr funktionieren Erinnerungen. Oder Träume. Oder eben Malick-Filme. Die stets unterlegt sind mit einem einzigartigen Soundtrack, der klassische Musik mit neuer Filmmusik zu einem virtuosen Klangteppich verknüpft.
Die Natur staunt zurück
Der Mann ist ein Naturmystiker. Immer staunt er mit seiner Kamera über die Natur, auch in so einem fremden Genre wie dem Kriegsfilm. Soldaten, die auf einer Insel stationiert sind, stapfen durch fremde Gräser und gucken staunend in die unberührte Landschaft, die gleich von Bomben zerrissen wird. So auch der Spanier in „The New World“, der in Amerika an Land springt und auf Indianer stößt. Und immer staunt die Natur, genauso ungläubig, zurück: Was macht ihr denn hier? Immer gibt es so etwas wie ein Paradies, ein Idyll, in das der Mensch aber nie wirklich hineinpasst, aus dem er vertrieben wird.
Das Paradies in „To the Wonder“ ist der Mont St. Michel, jene kleine Insel im Wattenmeer der Normandie, die von den Franzosen „le merveille“ genannt wird, also das titelgebende Wunder ist, und auf der wir das junge Paar anfangs turteln sehen. Und so wie diese Insel regelmäßig vom Meer überspült wird, geht auch dieses Glück bald in den Gezeiten des Alltags unter.
Poesie? Wie grenzwertig
Doch mehr denn je propagiert Meister Malick sein Dauerthema, das Verhältnis von Mensch und Tier. Schon in „Life of Tree“, von der Kritik noch unisono gefeiert, gab es da einen merkwürdigen, viertelstündigen Exkurs, der von der eigentlichen Handlung, der Kindheit in den fünfziger Jahren, bis zum Urknall und zu den Dinosauriern ausscherte. In „To the Wonder“ ist es ein Priester (Javier Bardem), der an seinem Glauben zweifelt wie das Paar an seinem Glück, auch er ein Fremder, ein Gestrandeter, in dem die Russin bei der Beichte so etwas wie einen Leidensgenossen findet. Der aber predigt aus dem Off nicht nur die zwischenmenschliche Liebe, sondern die zwischen Mensch und Natur. „Erwache in der göttlichen Gegenwart, die jedem Mann, jeder Frau innewohnt“, heißt es da etwa. „Erkennt euch in dieser Liebe, die niemals endet.“ Ein filmisches Hohelied der Liebe also.
Das ist der Moment, wo auch so mancher Wohlwollende brüskiert aussteigt. Pseudo-, Quasi-, Billigreligion! Man darf im Kino ja so ziemlich alles machen, Bluträusche, Zombieschlachten, Sexorgien. Poetische Filme dagegen sind schon grenzwertig. Und jetzt gar noch predigen? Da fällt, um im Bild zu bleiben, auch manch Malick-Jünger vom Glauben ab. Für andere aber, und zu denen wollen wir uns klar bekennen, wird seine Kunst immer ausgereifter, immer vollendeter.
Das ganze Oeuvre im Arsenal-Kino
Wer den ganzen Malick nicht kennt oder das neue Oeuvre an den alten Meisterwerken messen will, hat dazu eine einmalige Gelegenheit. Das Arsenal-Kino zeigt derzeit das Gesamtwerk, also alle fünf bisherigen Filme. Selten genug, dass man sie auf großer Leinwand erleben kann, wo sie einzig richtig wirken. Wie Ölgemälde im Museum. Malick sitzt derweil schon wieder im Schneideraum. Er hat drei neue Filme abgedreht, mit Ryan Gosling, Christian Bale, Brad Pitt. Und muss jetzt wieder das überbordende Material zusammenpuzzeln. Im hohen Alter, so scheint es, wird Malick noch ein richtig reger Regisseur. Vielleicht aber, befürchten die abgefallenen Jünger, auch ein ganz gewöhnlicher.