Es regnet auf eine verrostete Geisterbahn, auf umgestürzte Saurier. Es regnet auf Schwanboote und rostige Achterbahn-Waggons. Es regnet auf alles, was den Spreepark in Plänterwald ausmacht. Irgendwann hört es auch auf zu regnen. Das „Night + Day“-Festival will trotzdem lange nicht in Schwung kommen. Dabei klang auf dem Papier alles so gut: The XX, diese erstaunlich erfolgreiche britische Band, laden Musiker ein, die sie mögen, an Orte, die man sonst selten sieht. Drei Mal nur: in London, Lissabon, Berlin. Und wer einmal im Spreepark war, diesem aufgegebenen Freizeitpark, der hat gleich Bilder im Kopf, was da alles passieren wird: Bands spielen unter zugerankten Bäumen, DJs schwimmen mit Flößen auf grünen Tümpeln, Riesenräder glühen in der Dämmerung. Lachen, Tanzen, Trinken, Knutschen. Aber: Es regnet. Es ist kalt. Es ist grau.
Das Gelände ist noch abgesperrter als sonst: Bauzaun hier, Bauzaun da. Im durchreglementierten Deutschland muss man sicher mit 687 Auflagen kämpfen, will man ein Festival auf einem vor sich hin rottenden Abenteuerspielplatz organisieren. Trotzdem: etwas mehr Liebe zum Detail hätte man sich erhofft. Es gibt nur eine große Bühne auf einer großen Wiese, auf der spielen nacheinander alle Bands. Aha. Dann quetscht man sich zwischen Gittern einen Betonweg lang. Am Ende: eine kleiner DJ-Floor. Aha. Die Location dient bloß als Staffage. Letztlich könnte „Night + Day“ auch auf einem Acker hinter Nord-Nirgendwo stattfinden.
Adam Bainbridge von Kindness stellt sich zum Schluss-Crescendo auf seine Bassdrum. Brummen, Scheppern, Klatschen. Wasser wird von der Bühne gefegt. Jungs mit Neo-Sonnenbrillen und Knutschflecken am Hals schieben sich durch die Menge, ein paar Mädels pusten Seifenblasen gegen den Wind. Auch der Hauptband-Lookalike-Contest grassiert: Viele Damen und Herren sehen genau so aus The XX. Die Dauerquatscher sind auch da, logisch. Alle 30 Sekunden macht jemand ein Foto – von sich und seinen Freunden, nicht von der Band.
Jessie Ware liefert perfekten Soul-Funk
Dann spielen Mount Kimbie die herrlich amorphen Miniaturen ihrer ersten Platte, dazu ein paar arg straighte Songs vom kommenden Album, mit vernuscheltem Gesang und allem. Kai Campos wiegt sich dabei am Keyboard hin und her wie ein verträumtes Kind. Diese Musik würde man lieber nachts im Club hören, nicht unterm Wolkendach um 17 Uhr 32. Danach machen Chromatics diesen 80er-Dreampop, der schon in den 80er schwer auszuhalten war. The-XX-Drummer Jamie XX legt am andern Ende des Geländes etwas auf, was gerne, hilflos, Post-Dubstep genannt wird. Noch immer aber stehen mehr Menschen nach Wurst und Wasser an als auf dem rissigen Dancefloor.
Nach dem Soul-Funk von Jessie Ware, heiser-virtuos und sehr perfekt, kommen pünktlich mit einsetzender Dunkelheit The XX auf die Bühne. 10.000 Menschen freuen sich. 2000 Handy gehen hoch. Wie die Band mit ihrer Zeitlupenmusik doch alles noch in ein bisschen Schönheit taucht, ist erstaunlich. Romy Madley Croft und Oliver Sim singen zusammen wirklich wie eine Stimme, das ist kein Studio-Trick. Immer wieder stehen sie einander gegenüber, ganz in Schwarz, wiegen sich in den Knien wie zu dünne Ringer. Die Lightshow ist genau so minimalistisch wie die Arrangements; beides zusammen erzeugt eine irre Breitwand-Wirkung.