Jüdisches Museum

Elena Bashkirovas plant Kammermusik für Anspruchsvolle

| Lesedauer: 9 Minuten
Volker Blech

Foto: David Heerde

Die Berliner Pianistin Elena Bashkirova veranstaltet wieder ihr Jerusalem-Festival. Mit Ehemann Daniel Barenboim spielt sie sogar vierhändig.

Festivalchefin Elena Bashkirova betont gern den familiären Charakter ihres Kammermusikfestivals „Intonations“, und meint damit nicht nur, dass alle beteiligten Künstler ohne Honorar auftreten. Es werde in Naturalien bezahlt, sagte sie einmal nicht ganz ernst, denn nach den Konzerten wird gemeinsam gegessen, getrunken und natürlich geredet. Das gehört zum Spaß der Beteiligten. Jetzt findet vom 20. bis 25. April zum zweiten Mal im Jüdischen Museum das „Jerusalem International Chamber Music Festival“ statt. Gestern stellte sie das neue Programm vorgestellt.

Ein Familienfestival

Und wer tiefer in das Programm hinein schaut, der kann tatsächlich sehr viel Familiäres entdecken. Elena Bashkirova, von Hause aus Pianistin, wird etwa am 22. April gemeinsam mit ihrem Ehemann Daniel Barenboim Schönbergs „5 Stücke für Orchester“ op. 15 in einer Bearbeitung für zwei Klaviere von Anton Webern spielen. Seit einigen Jahren hat der Stardirigent und Musikchef der Staatsoper Unter den Linden sein Herz für den Zwölftonkomponisten Schönberg entdeckt. Und auch der gemeinsame Sohn Michael Barenboim, ein Geiger, ist beim Festival vertreten.

Bereits am 21. April wird es im Glashof des Museums eine öffentliche Masterclass mit Studenten der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ geben. Es lehrt einer der großen Moskauer Pianistenmacher: Dmitri Bashkirov, Jahrgang 1931, ist der Vater der Festivalchefin. Drumherum sind Topmusiker wie Guy Braunstein, Gidon Kremer, Emmanuel Pahud, Isabelle van Keulen oder die Sänger René Pape und Roman Trekel anzutreffen. Sie spielen abendlich in wechselnden Besetzungen und sind bereit, sich in den Pausen mit ihrem Publikum über das Gehörte auseinander zu setzen. Auch das gehört zum familiären Charakter, von dem die Chefin spricht.

Treffen mit dem Staatspräsidenten

Eigentlich ist es kaum beschreibbar, wie international aktiv die Familie Barenboim im Berliner Musikbetrieb ist, gerade auch mit ihren Gründerprojekten – oder wie es heutzutage gern heißt, Projekten mit Nachhaltigkeit. Ein aktuelles Beispiel: Während Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano sein Treffen mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück aus diplomatischen Gründen abgesagt hat, trifft er sich heute Mittag halb privat, halb offiziell im alten Magazingebäude der Staatsoper mit Daniel Barenboim und dessen Akademie-Gründungsdirektor Michael Naumann.

Napolitano hat das Projekt der „Barenboim-Said Akademie“ bereits persönlich unterstützt – als Preisträger des Dan David Preises 2010 spendete er eine Million US-Dollar, davon sind zehn Prozent für Stipendien gedacht. In der Berliner Akademie sollen künftig vorrangig Musiker aus dem Nahen Osten ausgebildet werden. Dahinter steht Barenboims Modell des West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge Musiker aus Israel und umliegenden arabischen Ländern miteinander musizieren. Es ist ein ganz eigenes Friedensmodell.

Elena Bashkirova, 1958 in Moskau geboren, hatte Klavier am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium bei ihrem Vater studiert. Beiläufig lernte sie den Geiger Gidon Kremer kennen und lieben. Kurz danach verließ das Ehepaar die Sowjetunion in Richtung Paris. Dort traf sie auf Daniel Barenboim. Er wird schließlich ihr zweiter Ehemann. 1992 tritt er als Musikchef der Staatsoper Unter den Linden an, die Familie siedelt nach Berlin über.

Über Jahre hinweg wird Elena Bashkirova in der Stadt nur als die Frau an der Seite des großen Dirigenten gesehen, als Pianistin hält sie sich weitgehend zurück, gastiert lieber andernorts. Künstlerisch emanzipiert sie sich Mitte der 90er-Jahre, als sie gefragt wird, ob sie nicht ein Kammermusikfestival in Jerusalem gestalten möchte. Und sie will.

Ein eigenes Auftragswerk

Seither feilt sie am Konzept. Und ihr größtes Problem scheint zu sein, dass alles „wächst und wächst“. Immer mehr Musiker wollen dabei sein, immer mehr Konzerte wären nötig. Aber ab irgendeinem Punkt geht das Familiäre verloren. Das will sie keinesfalls riskieren. Zum Konzept gehört auch, erklärt sie, die Clubsandwich-Methode. Zwischen den vertrauten Schichten mit Mozart oder Brahms wird immer auch etwas Zeitgenössisches, etwas Unbekanntes oder Streitbares erklingen.

Eine Uraufführung pro Festivaljahr soll es geben, sagt Elena Bashkirova. Diesmal wird am 20. April das Stück „Colors of Dust“ von Ayal Adler aufgeführt. Es ist sogar ein Auftragswerk des Festivals. Sohn Michael Barenboim wird in dem Quintett mitspielen. Der Komponist Adler, Jahrgang 1968, unterrichtet an der Jerusalem Academy of Music and Dance.

Den Stadtnamen Jerusalem will Elena Bashkirova unbedingt im Festivalnamen weiter führen, auch wenn sich der Ableger in Berlins Jüdischem Museum als eigene Marke etabliert. Wovon alle Beteiligten ausgehen. Cilly Kugelmann, die Programmchefin des Jüdischen Museums, sieht in Bashkirovas Festival „das säkuläre Moment in Jerusalem“. Die stellvertretende Direktorin hatte selbst lange in Jerusalem gelebt und schwärmt von der Stadt.

Aber mittlerweile haben die Religiösen die Stadt übernommen, worüber sie nur den Kopf schütteln kann, aber das Festival zieht „die Reste des säkularen Publikums“ an. Und sei deswegen überaus wichtig. Mit diesem Anspruch gehöre es auch in das Berliner Museum. Was für ein Bekenntnis zum liberalen Judentum, und zugleich eine Absage an die regelstrenge Orthodoxie, die in Israel um sich greift.

Berlin ist ein mythischer Ort

Festivalleiterin Bashkirova setzt auf die Achse Berlin-Jerusalem. Wenn man in Israel jemandem erzähle, man sei aus Berlin, würden die sofort sagen, sie wollen auch unbedingt dorthin. Museumschefin Kugelmann meint, das Berlin mittlerweile der „mythische Ort“ ist, so wie es in den 70er-Jahren New York war. Zigtausende Israelis leben derzeit in Berlin, darunter viele junge Musiker. Einige davon wachsen auch in die Festivalfamilie hinein.

In den sechs Festivaltagen werden natürlich die Klassiker Schubert, Mendelssohn Bartholdy oder Beethoven aufgeführt. Aber ein Schwerpunkt gehört den Werken von Komponisten, „deren Arbeiten aufgrund von Verfolgung, Vertreibung und Lagerhaft zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.“ Es sei Musik, so Elena Bashkirova, die wir uns im normalen Musikbetrieb nicht leisten würden. Das täte ihr schon ein wenig weh.

„Ein Zweig der Musikgeschichte wurde abgeschnitten“, sagt sie, „und seither nicht mehr weiter entwickelt“. Es geht um mittel- und osteuropäische Komponisten, es geht etwa um den Pianisten Gideon Klein (ermordet 1945), der Zwölftonmusik und Volksmusik verarbeitet hat. Während Pavel Haas der Avantgarde angehörte, verließ Hans Krasa nie die Tonalität. Viktor Ullmann ist durch seine Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ längst wieder ins Bewusstsein zurück gekehrt. Die drei Komponisten wurden 1944 in Auschwitz ermordet.

Musik aus dem Ghetto

Im Programm finden sich auch Werke von Erwin Schulhoff, Mieczyslaw Weinberg und Alfred Schnittke. Zweifellos ein anspruchsvolles Programm. Gerade Musik half den Menschen, sich aus der Ghetto-Welt herauszuträumen, erklärt Cilly Kugelmann. „Das Festival will keine trübe Wolke sein“, sagt Elena Bashkirova: „Die Werke sind kein Lamento, sondern Musik zum Leben“. Das Jüdische Museum habe sich von Anfang an nicht als Holocaust-Museum verstanden, fügt Cilly Kugelmann hinzu, sondern fühlt sich dem lebendigen Judentum verpflichtet. Das Festival gehört mit zum Rahmenprogramm.

Auch wenn sich die Künstler mit Naturalien und fröhlichen Abenden abspeisen lassen, ganz kostenlos ist das Festival nicht. Insgesamt braucht es rund 120.000 Euro, wie Börries von Notz, der Geschäftsführer des Jüdischen Museums, vorrechnet. Ein Sponsor zahlt. Das Geld benötigt man etwa für Marketing, für Reisekosten einiger Künstler, für die Anmietung des Flügels oder für einige Hotelübernachtungen – aber es ist „nicht das Adlon“.

Beiläufig erzählt von Notz, dass das Kammermusikfestival irgendwann aus dem Glashof – mit 450 Plätzen und komplizierter Akustik – in den neuen multifunktionalen Saal mit 600 bis 800 Plätzen umziehen wird. In der neuen Akademie des Jüdischen Museums, die im früheren Blumengroßmarkt entsteht, wird demnach auch eine Art Konzertsaal entstehen. Ende 2015 soll er bezugsfertig sein. Das Festival ist dann bereits etabliert.

Jüdisches Museum, Kreuzberg. Kammermusikfestival „Intonations“ vom 20. bis 24. April. Tel. 01805 570070 Karten: 20 und 24 Euro, ermäßigt 16 Euro