Ausflug an den Rand des Verstandes: Anita Vulesica inszeniert Eugène Ionescos Sprachauflösungsstück am Deutschen Theater.

Die große Wanduhr ist ganz außer Rand und Band, die leuchtenden Zeiger auf dem ziffernlosen Ziffernblatt kreisen in ihrem eigenen, undurchsichtigen Takt. Ungerührt stellt Mrs. Smith fest: „Sieh mal an, es ist neun Uhr.“ Ist es natürlich nicht. Aber wer wird sich mit solchen Kleinigkeiten aufhalten, wo hier eh alle Gesetze der Logik ausgehebelt sind und in jeder plüschigen Nische der komplett mit sattrotem Samt überzogenen Kammerspiel-Bühne des Deutschen Theaters heitere Sinnentleertheit wuchert.

Auf dem Spielplan steht Eugène Ionescos Anti-Stück „Die kahle Sängerin“, das er selbst als „Tragödie der Sprache“ verstand. Die neue DT-Intendantin Iris Laufenberg hat die von Komödien-Spezialistin (und ehemaliger DT-Schauspielerin) Anita Vulesica inszenierte Version aus Graz mitgebracht, wo der Abend bereits im letzten Jahr Premiere hatte.

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Ionesco kombinierte für dieses Stück, das sein erstes war und direkt seinen Ruf als Miterfinder des absurden Theaters begründete, Sätze aus seinem Englischlehrbuch. Dass daraus dennoch so etwas wie eine Handlung entsteht, ist einerseits ein Wunder, andererseits auch relativ irrelevant, der Vollständigkeit halber sei sie dennoch kurz zusammengefasst: Mrs. und Mrs. Smith (Moritz Grove und Beatrice Frey) sitzen daheim auf dem Sofa und öden sich an. Dann kommen Mr. und Mrs. Martin (Frieder Langenberger und Evamaria Salcher) zu Besuch. Jetzt sitzt man zu viert auf dem Sofa. Und hat sich immer noch nichts zu sagen. Dann kommt der Feuerwehrhauptmann (Raphael Muff) vorbei auf der Suche nach einem schönen Brand, den er löschen könnte. Den gibt es aber nicht. Mary (Katrija Lehmann), das Dienstmädchen, klopft zwischendurch Staub aus dem Sofa und rasiert sich mit einem Küchenbeil den Bart.

„Tragöde der Sprache“ nannte Ionesco sein Stück.
„Tragöde der Sprache“ nannte Ionesco sein Stück. © Lex Karelly_Schauspielhaus Graz

So weit, so absurd. Was Regisseurin Anita Vulesica mit ihrem Ensemble im glitzernden Seventies-Look nun daraus macht, findet größtenteils zwischen dieser „Handlung“ statt und oft sogar zwischen den Sätzen: Diese Inszenierung setzt auf herrlich fidele, ulkige Körperlichkeit. Wie sich hier alle verrenken und ihre Füße, Beine, Münder verdrehen, wie jeder einzelne sich selbst auf dem großen roten Sofa immer wieder neu ver-rückt, das ist wirklich sehr gelungen und übersetzt die misslungene Kommunikation der bourgeoisen Gesellschaft, die Ionesco mit all der phrasenhaften Nonsens-Konversation zu kritisieren ja auch im Sinn hatte, wunderbar in die Körpersprache. Außerdem tröstet die dabei von den Darstellern an den Tag gelegte Energie sehr darüber hinweg, dass das Stück, das 1950 in Paris uraufgeführt wurde, in seiner Komik inzwischen hier und da doch etwas betulich wirkt.

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Am Ende, wenn sich alle Sprache längst aufgelöst hat und man sich eigentlich nur noch Minimalsätze oder gar einzelne Vokale um die Ohren haut, beschwört das Ensemble in einem alternativen Schluss dann doch noch sehr versöhnlich die Kraft der Gemeinschaft und trällert all die kommunikativen Dissonanzen der vorangegangenen anderthalb Stunden in einer gemeinsam mit dem Publikum gesungenen gegenseitigen Liebeserklärung einfach weg, weil: Love is all we need. Danach: Donnernder Applaus.

Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Kartentelefon 28 441 225. Nächste Termine: 03.10., 07.10., 21.10.