Berlin. The National aus den USA spielen in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle. Ein großartiges Konzert mit einem kleinen Ausrutscher.
Während zahlreiche Zuschauer noch in den Innenraum der ausverkauften Max-Schmeling-Halle strömen, fängt das Vorprogramm bereits an, um 19.15 Uhr. Nicht gerade ideale Startbedingungen für Bartees Strange, doch der liefert als Anheizer für The National einen souveränen Auftritt ab – wie der charismatische Reverend einer Gospel-Messe.
Sein Gitarrenspiel mischt feinnerviges Jazz-Gefrickel und donnernden Hardrock und ja, The National sind seine Lieblingsband, wie er den Zuschauern zur Begrüßung verrät. Man könnte das für die branchenüblich-schleimige Vorgruppen-Prosa halten, doch in diesem Fall ist die Verehrung belegt. Seine Karriere startete Strange mit einer EP, auf der er Songs von The National coverte. Eine Kostprobe davon („About Today“, beherzt verfremdet) spielt er auch in Berlin. Nach einer Dreiviertelstunde in der Schmeling-Halle hat der Mann im senfgelben Glanzhemd einige neue Fans dazugewonnen.
Hinter The National liegt ein kreatives Jahr
The National kommen gegen halb Neun auf die Bühne, sechs Musiker um die Dessner-Brüder Aaron und Bryce (die Gitarristen und musikalischen Direktoren der Band), dazu Sänger Matt Berninger. Er sticht optisch unter all den Jeans- und T-Shirt-Trägern mit der Kombination aus hellblauem Hemd und dunkelgrauem Anzug heraus; eisenhart mit zugeknöpftem Jackett, bis zum Ende der Show zwei Stunden und 20 Minuten später.
The National haben ein kreatives Jahr hinter sich – 2023 veröffentlichten sie gleich zwei neue Studioalben, „Laugh Track“ erschien vor zwei Wochen unangekündigt und versammelte eher unfertige Songs, die bei den Sessions „The First Two Pages of Frankenstein“ übrigblieben.
Schon das Konzert-Intro „Once Upon A Poolside“ kreist um eine dieser typisch nachtschwarzen Berninger-Zeilen. Frei übersetzt: Was war das Schlimmste, dass du jemals zu mir gesagt hast? Es dauert aber gut eine Viertelstunde, bis sich der unverwechselbare The-National-Sound – diese in Goldfolie gepackten, gediegen-melancholischen Indie-Hymnen – in der Schmeling-Halle materialisiert. Die ersten Stücke wirken wie ein Soundcheck vor zahlendem Publikum, Berninger trifft einige Töne nicht, bei der Feinabstimmung zwischen Instrumenten und Gesang rumpelt es gewaltig.
The National-Frontmann Berninger nutzt die Breite der Bühne voll aus
Berninger ist neben Morrissey und Samuel T. Herring von Future Islands einer der wenigen Rock-Frontmänner, die kein Instrument spielen – diese Bewegungsfreiheit kostet er bei Konzerten voll aus. Er nutzt die ganze Breite der Bühne und untermalt seine Texte mit großen Gesten, als wolle er die Pantomime zum Song gleich mitliefern: rudert mit den Armen, fasst sich an den Kopf, streicht sich übers Haar, geht in die Knie. Während der Songs „Day I Die“ und „Terrible Love“ unternimmt er Ausflüge in den Innenraum, so weit, wie das Mikrofonkabel reicht, immer einen gestressten Schnur-Techniker im Schlepptau. Der Rockstar an der langen Leine, so sieht das von der Tribüne betrachtet aus.
Nachdem die anfänglichen Soundprobleme behoben sind, wird es ein großartiges Konzert mit etlichen Hits aus dem Back-Katalog der US-Band. „Don’t Swallow The Cap“ ist der erste Song in dieser Reihe, mit der programmatischen Textzeile: „Everything I love is on the table/ Everything I love is out to see“, maximaler Seelenstriptease eben. Neben erwartbaren Stücken wie „Bloodbuzz Ohio“ oder „Mr. November“ (die größte Annäherung von The National ans Genre „Stadionrock“) präsentiert die Band aber auch randständige Fan-Favoriten wie „Cherry Tree“ von der gleichnamigen EP.
The-National-Frontmann rutscht von Bodenscheinwerfer
Zwischen den Songs und eigentlich immer, wenn er sich unbeobachtet fühlt, geht Berninger in die Raucherecke am Schlagzeug, und zieht, mit dem Rücken zum Publikum, hektisch an seiner E-Zigarette. Warum diese Heimlichtuerei? Vielleicht ist es die Angst vor im Raum verstecken Rauchmeldern. Es bleibt eine kuriose Fußnote des Konzerts, dass The National natürlich auch diesen Song spielen: „Smoke Detector“.
Das Geheimnis, welcher Zaubertrank in Berningers Becher drin ist, wird während der Show nicht gelüftet. Wasser wird es eher nicht gewesen sein. Dagegen spricht die Szene, als der Sänger sich lässig auf einen der beweglichen Bodenscheinwerfer zu setzen versucht, aber seitlich runterfällt.