Berlin. An der Torstraße in Mitte hat die Anlaufstelle Green Culture ihre Arbeit aufgenommen – mit großen Vorsätzen.
Als die bekanntlich beste Band der Welt „Die Ärzte“ 2022 auf dem Tempelhofer Feld gastierte, war vieles anders als bei Konzerten vergleichbarer Größenordnung. Sound- und Lichtanlage wurden zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt, in den Tanks der Notfallgeneratoren befand sich Kraftstoff aus hydrierten Pflanzenölen, ein Solar-Ladebaum ermöglichte das Wiederaufpäppeln heruntergerockter Smartphones. In Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation „Cradle to Cradle“ kamen für die rund 60.000 Gäste darüber hinaus besondere Toiletten zum Einsatz, deren, nun ja, Ertrag im Anschluss als Humus oder Dünger in der Landwirtschaft verwendet werden kann.
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Die Kulturbranche muss sich so ihre Gedanken über das Leben in Zeiten des Klimawandels machen – und tut das auch schon. Für die Berliner Festspiele und das von ihnen ausgerichtete Theatertreffen sind CO2-Abdruck und Nachhaltigkeit des Festivals schon seit Jahren ein zentrales Thema, der Neubau des Museums des 20. Jahrhunderts am Kulturforum ist ökologisch noch einmal völlig neu durchdacht und umgearbeitet worden – weitere Beispiele gibt es zuhauf.
Was bislang fehlte und am Freitag bei einem angenehm lockeren, quasi studentenpartyhaften Termin an der Torstraße 154 in Mitte eröffnet wurde, ist die schon im Koalitionsvertrag der Ampelparteien vom Dezember 2021 angekündigte Koordinierungseinheit für mehr Nachhaltigkeit in der Kultur: „Wir richten eine zentrale Anlaufstelle ,Green Culture‘ ein“, heißt es darin, „die Kompetenzen, Wissen, Datenerfassung, Beratung und Ressourcen für die ökologische Transformation anbietet“. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) machte darauf aufmerksam, dass die Kultur sich nicht nur darauf beschränken könne, ihre Veranstaltungen klimaschonender zur organisieren. Was es brauche, sei auch eine „Ästhetik der Nachhaltigkeit“ und eine Reflexion der Frage, welchen Beitrag die Kultur für die anstehenden Transformationsprozesse und gegen die Leugnung des Klimawandels leisten könne.
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Darf man das als inhaltlichen Auftrag an die Kulturschaffenden verstehen? Hier wird einer Zeit mit sehr hohem Handlungsdruck natürlich auch dünnes Eis beschritten. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des die Anlaufstelle strategisch unterstützenden Deutschen Kulturrats, erinnerte in seinem Grußwort mit Bedacht an ein gesetzlich geschütztes Grundrecht: Nachhaltigkeit sei sehr wichtig, sagte er. Aber die Kunstfreiheit sei wichtiger.
Wobei man die Einrichtung durchaus auch als Ort des Diskurses über solche Fragen verstehen darf. Sie wolle die Branche regelmäßig zu Netzwerk- und Austauschforen einladen, um mit ihr über ökologische Fragestellungen zu diskutieren, heißt es in einer Mitteilung der Kulturstaatsministerin. Auch die von ihr in diesem initiierten bundesweiten Green Culture-Konferenzen würden durch die Anlaufstelle fortgeführt. „Wir laden alle Akteure, Initiativen und Institutionen auf Landes- und kommunaler Ebene dazu ein, sich mit ihren Erfahrungen und Anregungen daran zu beteiligen“, so Claudia Roth.
Geleitet wird die Anlaufstelle von Jacob Sylvester Bilabel, der seit 2020 das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit leitet, das Akteure der Kulturbranche im Geist der CO2-Reduktion und der Ressourcenschonung vernetzt. Er ist zugleich Geschäftsführer des gemeinnützigen Projektträgers Delta1, der die Einrichtung verantwortet.