Berlin. Beim Konzerthausorchester präsentiert Christoph Eschenbach das Violinkonzert von Britten und Tschaikowskys „Pathétique“.

Auch nach seinem Abtritt als Chefdirigent des Konzerthausorchesters wird Christoph Eschenbachs Vertrauensverhältnis zu dem Orchester im Konzerthaus am Gendarmenmarkt sichtbar – und sein immenses dirigentisches Wissen und Können, das auch im Alter von über 80 Jahren kaum nachzulassen scheint. Mit großer Sicherheit wählt der Dirigent zwei Werke, die zur weltpolitischen Lage und zur Stimmungslage des Westens bestens passen – und die Dinge doch in musikalischer Eigengesetzlichkeit ganz anders aussprechen als tagesaktuelle Nachrichten oder noch so tiefgründige politisch-historische Analysen.

Lesen Sie auch: Christoph Eschenbach: Stehende Ovationen bei Konzerthaus-Abschied

Brittens Violinkonzert ist eine Paraphrase des berühmten Guernica-Bildes von Pablo Picasso aus dem Jahr 1939. Es ist relativ unbekannt – doch nicht zuletzt durch das Spiel des Violinsolisten Daniel Hope zeigt sich, was für ein Meisterwerk es ist: Britten nutzt die Eigengesetzlichkeit des Musikalischen, um das damalige Kriegsgeschehen ins Überzeitliche zu heben. Das Pochen des Beginns stellt weder programmatisch die heranrückenden Truppen dar noch lässt sich die aufsteigende Trompetenfigur im letzten Drittel des Werks eindeutig als Choral identifizieren. Höchstens in der für den Geiger auskomponierten Kadenz legt der Komponist seinen Hörern ziemlich konkret die zerfetzten Körper aus Picassos Bild ins Ohr – es könnten auch die zerfetzten Seelen sein – nimmt man den den innigen und doch sich selbst ständig unterbrechenden Violinton hinzu, den Violinsolist Daniel Hope zwischendurch unbeirrt hören lässt.

Auch interessant: „Eschenbach pur“ beim Konzerthausorchester

Vom Renaissance-Komponisten Johann Paul von Westhoff stammt die Zugabe

Die Meisterschaft der Britten-Interpreten Eschenbach, Hope und Konzerthausorchester besteht im Vermögen, dass persönliche Angefasstheit gänzlich in dem musikalischen Geschehen aufgeht. Und doch scheint sich während Hopes Kadenz in den Augen des lauschenden Eschenbach die ganze seelische Qual auszudrücken, mit der Britten einst diese Musik schrieb. Daniel Hopes virtuose Zugabe stammt von dem unbekannten Renaissance-Komponisten Johann Paul von Westhoff. Die brillante musikalische Studie über Glockenklang wäre ein Grund, noch mehr von diesem Komponisten kennenzulernen.

Mehr zum Thema: Wenn sich große Komponisten selbst zitieren

Peter Tschaikowskys Sechste Sinfonie, die „Pathétique“, zeigt an diesem Abend besonders stark das kulturelle Verbundensein der Deutschen mit Russland: Es ist motivisch-thematische Arbeit nach Beethovens Vorbild – und zugleich ungefilterte Passion auf eine Art, die kein mitteleuropäischer Komponist je beherrschte, der sich aber auch keiner entziehen konnte – ebenso wenig wie der gut gefüllte Saal des Konzerthauses an diesem Abend. Eschenbach dirigiert auswendig, beschränkt sich auf sparsame Taktschläge und kleine Gesten und umspannt das Geschehen in der Musik und im Orchester doch sichtbar und mit Kraft, von der zweifelnden Unruhe des ersten Satzes über den elegant sich verschleifenden Walzer im Fünfertakt, den tänzerischen Marsch bis zum tiefschwarzen Adagio lamentoso.

Mehr über Berlins Kultur lesen Sie hier.