Berlin. Der 96-jährige Dirigent Herbert Blomstedt präsentiert Strauss und Beethoven bei den Philharmonikern.

Vorsichtige, schlurfende Schritte. Gebeugter Körper, zitternde Glieder: Nur mit großer Mühe erreicht Herbert Blomstedt das Dirigierpult der Philharmonie. Gestützt von Vineta Sareika-Völkner, der neuen Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker. Im Juni 2022 war der schwedische Maestro schwer gestürzt, seither kann er nur noch im Sitzen dirigieren. Der Publikumsbegeisterung tut das natürlich keinen Abbruch – im Gegenteil. Stehende Ovationen nach Beethovens „Eroica“-Sinfonie für den 96-jährigen Blomstedt. Stehende Ovationen für den zurzeit ältesten aktiven Dirigenten der Welt

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Doch man muss auch klar sagen: Dieser Abend funktioniert nur, weil die Philharmoniker das unbedingt wollen. Weil sie Blomstedts Vorlieben dank 47-jähriger Zusammenarbeit sehr genau kennen, weil sie ihn jetzt auf Händen durchs Programm tragen. Und weil sie darüber hinaus Beethovens „Eroica“ in- und auswendig draufhaben.

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Heikler muten da schon Richard Strauss‘ „Metamorphosen“ in der ersten Konzerthälfte an. Auch dieses Werk gehört zu den zentralen Repertoirestücken der Philharmoniker, aber die ungewöhnliche Besetzung mit 23 Solostreichern ist nicht ohne. Anders nämlich als bei Beethoven gibt es hier keine Konzertmeisterin, die den Dirigenten dauerhaft unterstützen könnte. Sareika-Völkner versucht es trotzdem: Wenn sie spielt, bekommt die Musik Zug und Struktur, aber auch eine sehr dominante Erste Geige. Wenn sie dagegen pausiert, wirken die übrigen Streicher etwas verschwommen und richtungslos. Sie scheinen Blomstedts Zeichen unterschiedlich zu deuten.

Eine Klage über den Verlust der Kultur durch den Zweiten Weltkrieg

Bemerkenswert auch, wie hell und heiter Strauss‘ „Metamorphosen“ unter Blomstedt klingen. Denn eigentlich hat der Komponist dieses Werk als Trauermusik angelegt, als schmerzliche Klage über die Vernichtung deutscher Kultur durch den Zweiten Weltkrieg. Am Ende zitiert Strauss ein paar Töne aus dem Trauermarsch der Beethovenschen „Eroica“. Er dreht es sogar so, dass man als Hörer im Nachhinein das Gefühl hat, Beethoven wäre von Anfang an das Ziel gewesen.

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Sehr naheliegend also, nach den „Metamorphosen“ gleich die komplette „Eroica“ hinterherzuschieben. Die Philharmoniker tun es an diesem Freitagabend deutlich üppiger und romantischer, als man es von Blomstedt sonst gewohnt ist. Mit breiter Artikulation, langen Bögen und luxuriösen Holzbläserfarben. Es ist ein Beethoven, der das Publikum auf vielfältige Weise umarmt. Ein Beethoven voller Wärme und Leidenschaft, Schönklang und Seelentiefe. Die Philharmoniker schwelgen hier in der eigenen Beethoven-Vergangenheit – und feiern damit zugleich ihren jahrzehntelangen Weggefährten Blomstedt.