Berlin. Am Tag der Deutschen Einheit spricht die Berliner Liedermacherin im Zoo Palast über den Dokumentarfilm über ihr Leben: „Bettina“

Ihre Stimme ist deutlich heller als heute. Sie klingt auch etwas eingeschüchtert, aber doch bestimmt und präzis. Als die „Angeklagte Wegner“ antworten muss. Wie sie heiße. Wo sie wohne. Und wieso sie, nach der Niederschlagung des Pragers Frühlings 1968, Flugzettel in Berliner Briefkästen verteilt habe: „Ich habe das sofort falsch gefunden. Da habe ich mir überlegt, dass ich was machen will.“ Das Foto, das für die Akten von ihr gemacht wird, trägt den Vermerk „Bln. 79-68“.

Eines von vielen Verhören der Staatssicherheit gegen Bettina Wegner. Die sie aber als Erlösung empfand. Weil sie dafür aus der Einzelzelle kam. Und ihr Verhörer sei immer nett zu ihr gewesen. Er hackte allerdings mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine herum. Die Angeklagte dagegen hatte bei ihrer Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin auch Schreibmaschinenunterricht. „Da habe ich gesagt: Wenn das nicht alles so absurd wär’, würd’ ich sagen, geben Sie mir die Schreibmaschine, ich tippe.“ Drauf ließ sich der Verhörer nur allzu gern ein: „Dann hab’ ich meine eigene Vernehmung getippt.“

Im Osten durfte sie nicht auftreten und wollte doch nicht in den Westen ziehen

Dokumentationen über Musiker leben vor allem von Mitschnitten aus ihren Konzerten. Und von Gesprächen mit den Künstlern selbst – so sie noch leben und sich auch äußern wollen. Bettina Wegner wollte. Immer wieder sitzt sie im Film „Bettina“ auf ihrem Sofa in Frohnau, stets mit einer Zigarette in der Hand, wie angewachsen. Eine Flamme, die nie auszugehen scheint, ganz wie die Energie der Sängerin.

Aber dieser Dokumentarfilm, der seine Premiere auf der Berlinale 2022 feierte, lebt noch von einer anderen, sehr besonderen und ziemlich einmaligen Quelle: den Tonbandmitschnitten der Stasi, denen sie sich vor 55 Jahren unterziehen musste. Und so ist Bettina Wegner mit zwei Stimmen zu hören: hier die zu den Dreharbeiten 73-jährigen Liedermacherin, deren Stimme, nicht nur wegen der Zigaretten, deutlich dunkler geworden ist. Und da ihr junges Selbst, das vor der Stasi mit gerade mal 20 Jahren bereits sehr selbstsicher eine klare Haltung einnimmt.

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So stark ist dieses Material, dass der Film auf die genre-üblichen Interviews mit Zeitgefährten und Weggenossen gänzlich verzichten kann. Hier erzählt eine Frau, ganz allein und doch irgendwie im Doppel, ihr Leben. Eines, das in jeder Hinsicht außergewöhnlich ist. Und doch exemplarisch für die deutsch-deutsche Geschichte steht. Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, läuft „Bettina“ nun noch einmal in der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast immer am 1. Dienstag im Monat einen waschechten Berlin-Film zeigt. Und Bettina Wegner kommt persönlich, um über den Film zu sprechen.

Sie wollte die DDR mit aufbauen: Doch dann kam alles anders

Ein Film, der erst mal mit Proben zu einem aktuellen Konzert beginnt. Und sich damit quasi selbst einstimmt. Der später auch dem Konzert beiwohnt. Und damit ihrem Alltag als Künstlerin. Aber dann hört man das Verhör vom Band. Und dann sitzt man mit Bettina Wegner in ihrer Wohnung, blättert mit ihr in ihrem Fotoalbum. Und hört gebannt zu.

Welch ein Leben. Geboren in West-Berlin, zieht die Familie in den Osten der Stadt, weil der Vater da als Journalist arbeitet, in Ostmark ausbezahlt wird und die West-Miete nicht zahlen kann. Als kleines Mädchen ist Bettina so begeistert von der DDR, dass die Eltern ganz unglücklich sind: „West-Berlin“, schmunzelt sie noch heute, „war für mich Feindesland. Stalin war wie Gott.“ Sie wollte diesen Staat mitaufbauen. Aber dann kam es anders. Durch ihren Protest 1968, für den sie wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt wurde und sich als Fabrikarbeiterin bewähren musste. Durch die permanente Überwachung der Künstlerkreise, in denen sie verkehrte. Und schließlich, als sie 1976 gegen die Ausbürgerung ihres Kollegen Wolf Biermann protestierte und damit selbst mit Berufsverbot belegt wurde.

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Die junge Liedermacherin, hier eine Ausnahme aus den 70er-Jahren.
Die junge Liedermacherin, hier eine Ausnahme aus den 70er-Jahren. © (c) Werner Popp

Sie durfte nur noch im Westen auftreten. Wollte aber die DDR nicht verlassen. Bis man sie auch dazu zwang. Indem man ihr ein Ermittlungsverfahren wegen „Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen“ androhte. Noch mal Gefängnis, gibt sie zu, hätte sie nicht überstanden. Also ging sie. Eine schizophrene Situation, bis heute: „Wenn ich drüben sage, meine ich hier. Westberlin. Aber hüben benutze ich nie“, sagt sie. Und gesteht: „Ich hab Heimweh’ nach Heimat.“ Mit dem Zusatz: „wo das auch sein mag.“ Seither ist sie entwurzelt.

Der Mann, der es geschafft, diesen einzigartigen und so persönlichen Film zu drehen, der nicht zufällig nur den Vornamen im Titel trägt, ist Lutz Pehnert. Selbst im Osten der Stadt geboren, im Jahr des Mauerbaus, hat es sich der Grimme-Preisträger zur Aufgabe gemacht, immer wieder Menschen und Geschichten aus der DDR zu dokumentieren.

Lutz Pehnert, ein Filmemacher, der immer wieder die Menschen der DDR dokumentiert

In Werken wie „DDR ahoi“ (2010), „Die Ostdeutschen“ (2014), „Ostrock – zwischen Liebe und Zorn“ (2015), „Ostfrauen“ (2019) oder „Wer wir sind – die DNA des Ostens“ (2020). Bettina Wegner hat der Filmemacher schon kurz nach dem Mauerfall kennengelernt. „Ich kam von Ostberlin zu ihr in den Westen“, erinnert er sich: „Es war eine fast surreale Begegnung. Wir beide kamen aus einem Land – und lebten in zwei verschiedenen Welten. Sie kannte meine, aber ich noch nicht die ihre.“

In den nächsten 30 Jahren begegneten sie sich sich immer wieder. Bei Konzertauftritten. Oder für Interviews. Wie zuletzt für die RBB-Reihe „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“. Dabei entstand die Idee zu einem eigenständigen Film über diese einzigartige Zeitzeugin. Denn, so Pehnert: „Bis heute steckt ihr die Geschichte dieses Jahrhunderts in den Knochen, in der Seele, in ihren Gedanken.“ Und natürlich auch in ihren Liedern.

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Die Liedermacherin in ihrem Haus, mit Blick auf den Garten, hinter dem wieder die S-Bahnzüge rattern, die während der Mauerjahre stillstanden.
Die Liedermacherin in ihrem Haus, mit Blick auf den Garten, hinter dem wieder die S-Bahnzüge rattern, die während der Mauerjahre stillstanden. © Thomas Otto

Ein Film, der von schweren, bedrückenden Jahren handelt. Und doch immer auch hochkomisch ist. Weil die Liedermacherin das flapsig-direkt mit Berliner Schnauze schildert. Die hatten ihr, auch das ist eine von vielen hübschen Anekdoten, ihre Eltern austreiben wollen: Die Kinder bekamen eine Mark Taschengeld, doch für jedes berlinerte Wort wurde ein Pfennig abgezogen. O-Ton Wegner: „Na, ick hab keen Taschengeld mehr jeseh’n. Also konnt ich ooch balinern.“

Und noch so eine unglaubliche Pointe, die nur das Leben schreiben kann: Sie zog in ein Gartenhaus nach Frohnau, hinter dem alte, verwitterte S-Bahn-Gleise lagen. Kann da noch was fahren?, wollte sie wissen. Nur wenn die Alliierten sich auf eine Wiedervereinigung einigen, antwortete der Besitzer. „Da haben wir uns beide auf die Schenkel geklopft und gelacht“. Nun fährt die S-Bahn wieder. Und während die Sängerin das erzählt, im Garten, vor laufender Kamera,hört man sie tatsächlich im Hintergrund vorbeiziehen. Die Weltgeschichte scheint die Liedermacherin einfach nicht loslassen zu wollen.

Ihr berühmtestes Lied hat sie lange nicht singen wollen und tut es nun doch

Es ist ein aufregender, aufwühlender Film, der den Werdegang dieser unerschütterlichen Künstlerin auf vielen Ebenen verfolgt. Natürlich auch mit vielen Liedern. Und Ausschnitten von TV-Auftritten, von ihrem ersten Konzert im Westen, im Künstlerhaus Bethanien, oder dem aktuellen, auf das sie sich während der Dreharbeiten vorbereitet. Dort singt sie dann ihr berühmtestes Lied: „Sind so kleine Hände“.

Das hat sie lange nicht gesungen. Gerade weil die Leute immer nur das gekannt haben. Aber dann hat die Rechtsrockband Spreegeschwader es umgetextet: „Das sind unsre Kinder / Unser höchstes Gut / Schützt unsere Kinder / schützt unser Blut“. Auch da zeigte Wegner wieder klare Haltung: Für die habe sie es nicht geschrieben. Also hat sie sich einen Anwalt genommen. Und gewonnen. Und deshalb singt sie es wieder. Auch im Film. Wenn auch nicht, wie früher, mit Gitarre, weil die rechte Hand „kauputtoperiert ist“. Dann halt a capella.