Ausstellung

Die Stiftung Reinbeckhallen holt die Kunst vom hohen Sockel

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Peter Funch: „42nd and Vanderbilt (2012/07/12 09.02:55)“, 2017.

Peter Funch: „42nd and Vanderbilt (2012/07/12 09.02:55)“, 2017.

Foto: Peter Funch, / Courtesy V1 gallery und Peter Funch

Eine sehenswerte Ausstellung, die sich vor allem an Kinder und Jugendliche richtet: „a touch of playfulness“.

Berlin.  In Paul Austers Erzählung „Smoke“, aus der Wayne Wang 1995 einen wunderbaren Film machte, gibt es einen Tabakverkäufer namens Auggie Wren, der sich jeden Tag um exakt dieselbe Zeit mit seiner Kamera vor seinen Laden in Brooklyn stellt, um ein Foto zu machen. Es ist nicht bekannt, ob sich der 1974 in Dänemark geborene Künstler Peter Funch davon inspirieren ließ, als er sich dazu entschloss, sich fast ein Jahrzehnt lang immer morgens zwischen 8.30 und 9.30 Uhr an der südlichen Straßenecke 42nd und Vanderbilt in New York City aufzustellen und die vorbeieilenden Passantinnen und Passanten abzulichten.

Klar ist dagegen, dass er damit eine Bilderserie von großer Schönheit und Tiefe schuf. Oft gelang es ihm, dieselben Menschen an verschiedenen Tagen zu erwischen. Sie scheinen in sich versunken und ganz damit beschäftigt, ihr Ziel zu erreichen. Das lässt sie auf anrührende Weise von innen heraus leuchten, während Funch einen Moment festgehalten hat, den sie selbst kaum in Erinnerung behalten haben dürften. Das Einmalige und Unwiederbringliche in der Alltagsroutine, das doch ebenso wertvoll ist wie die vermeintlich großen Momente des Lebens: Hier wird es sichtbar.

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Funchs Arbeiten gehören zu den bemerkenswerten Kunstwerken, die derzeit unter dem Titel „a touch of playfulness“ in der Stiftung Reinbeckhallen gezeigt werden. Die Schau zeigt in den vergangenen vier Jahrzehnten entstandene Filme, Installationen, Gemälde, Fotografien, Mixed-Media-Arbeiten und Skulpturen von 21 Künstlerinnen und Künstlern, richtet sich dabei vor allem, auch mit einem umfangreichen Begleitprogramm, an Kinder und Jugendliche. Die von Candice M. Hamelin kuratierte Ausstellung erlaubt damit auch einen Einblick in die Sammlung der Stiftung Reinbeckhallen und ihres Gründers Sven Herrmann.

Der zugängliche, niederschwellige Charakter der Kunstwerke ergibt sich dabei mal aus den Geschichten, die sie erzählen, mal aus ihrer optischen Attraktivität und oft auch aus einem hintergründigen Humor. Fotorealistisch dargestellt und doch erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist der Künstler Ai Weiwei auf Zhao Zhaos „Portrait“-Gemälde (2010) – und zwar deshalb, weil er hier dem Publikum im Zuversicht und Führungskraft verheißenden Stil der chinesischen Staatsikonographie entgegen lächelt.

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Der Verfremdungseffekt ist verblüffend, die Ironie klar spürbar – und wer ums Eck der im Stil des Tangram-Legespiels gestalteten Ausstellungselemente geht, kann mit Sebastian Neebs „White Hands. Blue Sausage“ (2019) eine weitere Arbeit entdecken, die sich auf ähnliche spielerische Weise stil- und bildpolitischen Fragen zuwendet: ein bärtiger Mann im Stil der Alten Meister, der sich vor etwas zu erschrecken scheint und von zwei bunten Schnitzwürsten am oberen Bildrand konterkariert wird. Welche Kniffe die Kunst kennt, um unseren Blick zu lenken und zu formen, wird in dieser Ausstellung hinreißend leichthändig zum Thema gemacht.