Berlin. Das Stück „Prima Facie“ der britisch-australischen Bühnenautorin Suzie Miller ist im englischsprachigen Raum in aller Munde. Nach der Premiere 2019 am Stables Theatre in Sydney schon mit Preisen überhäuft, fand es seinen Weg 2022 ans Harold Pinter Theatre im Londoner West End, um dort ebenfalls vielfach ausgezeichnet zu werden. Zuletzt feierte der Abend am Golden Theatre am New Yorker Broadway Premiere, woraufhin die auch hierzulande bekannte Schauspielerin Jodie Comer einen Tony Award erhielt.
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Es senkt sich also schon im Vorfeld ein wenig internationaler Glanz auf die neue Spielzeit am Deutschen Theater, die zugleich die erste unter der neuen Intendantin Iris Laufenberg ist. Nach Alexander Eisenachs vielköpfig besetztem Beinahe-Vierstünder kommt dieser Abend nun verhältnismäßig minimalistisch daher – nicht nur, weil es ein Monolog mit nur einer Hauptdarstellerin ist und auch nicht allein, weil Moïra Gilliéron mit einem Minimum an Requisiten auskommt – einem Leuchtkasten, ein paar Neonröhren und einigen Bürostühlen. Der Abend von Regisseur András Dömötör ist mit strengster Disziplin auf ein Thema fokussiert: das Problem der juristischen Ahndung von sexueller Gewalt gegen Frauen.
Dass es ein solches überhaupt geben könnte, kommt der erfolgreichen Strafverteidigerin Tessa Ensler (Mercy Dorcas Otieno) zunächst nicht recht in den Sinn. In tänzelnder Überlegenheit erklärt sie, es gehe für sie in erster Linie um das Gesetz, um den Wettstreit vor Gericht, wenn Vorwürfe gegen einen Angeklagten im Raum stehen und pariert werden müssen – wenn, mit anderen Worten, die Aussagen von Zeuginnen auf ihre Lücken und Unschärfen abgeklopft werden. Tessa erzählt von solchen Triumphen, als handele es um eine gewonnene Partie Tischtennis. Nebenbei erfahren wir in dem zeitlich raffiniert verschachtelten Monolog vieles über sie: Wie sie es auf die Law School schaffte, wie sie mit dem vermeintlichen Stigma ihrer Herkunft hadert, wie sie mit der Kollegenschaft so auskommt – darunter auch ein Mann, mit dem mehr entsteht, körperliche Nähe, ein gemeinsam verbrachter Abend mit viel Alkohol, zunächst einvernehmlicher Sex – bevor er sie vergewaltigt. Und alles zerbricht.
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Es ist eine schauspielerische Glanzleistung, wie Mercy Dorcas Otieno diese zunächst vor Kraft und Zuversicht fast berstende, dann immer brüchigere und schließlich fast zerbrechende Frau auf die Bühne bringt. Denn Tessa Ensler – der Name ist übrigens eine Verneigung Suzie Millers vor der amerikanischen Dramatikerin Eve Ensler („Die Vagina-Monologe“) – beschreitet den Weg, den viel Frauen aus guten Gründen scheuen: Sie erstattet Anzeige gegen den Kollegen und findet sich nach mehr als 700 Tagen auf der für sie ungewohnten Zeugenbank im Gerichtssaal wieder, wo ihre Aussage vom Verteidiger der Gegenseite zerpflückt wird. Im öffentlich bekundeten Zweifel an ihrer Erfahrung, in der Demütigung der kollektiven Besichtigung ihrer Intimsphäre durchlebt Tessa die Vergewaltigung ein weiteres Mal – diesmal durch ein von überwiegend von Männern ersonnenes Justizsystem und durch ein strafrechtliches Prozedere, das den Opfern sexueller Gewalt nicht die Würde zugesteht, die es ihnen schuldig ist. Ein eindrücklicher Abend und einer der in Berlin seltenen Einblicke in die angelsächsische Gegenwartsdramatik.