Berlin. Der Berliner Regisseur Alexander Eisenach eröffnet mit seinem Stück „Weltall Erde Mensch“ die neue Saison am Deutschen Theater. Ein Treffen.

Mit der Uraufführung des Stücks „Weltall Erde Mensch“ wird am Sonnabend nicht nur die neue Saison am Deutschen Theater eröffnet, sondern zugleich die Intendantinnen-Ära von Iris Laufenberg eingeleitet. Der Berliner Regisseur Alexander Eisenach und sein Ensemble sind für die große Eröffnungspremiere verantwortlich. Hinter „Weltall Erde Mensch“ verbirgt sich ein dicker Sammelband, den in der untergegangenen DDR jeder zu seiner Jugendweihe geschenkt bekam. Es war so etwas wie die Volksbibel des DDR-Sozialismus. „Ich lese das Buch lieber als Science-Fiction-Buch und weniger als Zeitdokument“, sagt der Regisseur.

Zu DDR-Zeiten fanden auch im Deutschen Theater Jugendweihen statt, erzählt der Regisseur. Sein Zugriff hat sicherlich auch biografische Hintergründe. Alexander Eisenach ist zwar in Berlin-Hohenschönhausen sozialisiert, wurde aber 1984 geboren. Ein Spätgeborener. Als er das entsprechende Alter für die Bücherübergabe erreicht hatte, war die DDR längst Vergangenheit. „Ich merke schon, auf meine eigene Biografie oder auf die aktuelle Verwerfungen bezogen, die auch Ost-West-Verwerfungen sind, dass mein Interesse groß ist, mich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.“

Es fragt sich, wie man am Theater diesen Stoff heute für eine Eröffnungspremiere wahrnimmt? „Ich nehme das Umfeld am Haus als superoffen und neugierig wahr. Meine Inszenierung legt nichts Marschroutenhaftes für das Theater fest und bietet keinen weltanschaulichen Überbau für die Intendanz von Iris Laufenberg. Das Theater ist dafür viel zu vielseitig aufgestellt.“ Beim Begriff vom weltanschaulichen Überbau muss er selber lachen. „Es gibt verschiedene Sprachen und Stimmen.“ Und außerdem: „Die Idee, sich selbst einer Ideologie zuzuordnen, ist outdated.“

Die meisten Leute haben ihr Buch „Weltall Erde Mensch“ nie gelesen

Das Buch
Das Buch "Weltall Erde Mensch" © Verlag Neues Leben Berlin

„Weltall Erde Mensch“ war zwischen 1954 und 1974 in einer Auflage von vier Millionen Exemplaren erschienen. „Die meisten Leute, die es erhalten haben, sagen einem, dass sie es gar nicht gelesen haben“, sagt Alexander Eisenach. „Es ist wie bei Konfirmationen und Jugendweihen immer: Es ging einem um die Kohle, um die Feier, die Stereoanlage.“

Das Buch sei ihm irgendwann mal in die Hände gefallen, sagt der Regisseur. „In mehreren Arbeiten in den vergangenen Jahren habe ich den Bereich Science-Fiktion gestreift. Dieser Aufbruch und das Imaginieren von anderen perfekten, wenn man so will postkommunistischen Welten interessiert mich. Aber wir arbeiten uns nicht einen Abend lang an dem Buch ab, es ist für uns eher eine Rampe. Natürlich hatte auch der Realsozialismus die Heuchelei des Buches offenbart. Wir sind im Theater auf eine eigene Reise gegangen.“

Ein altes Exemplar von „Weltall Erde Mensch“ halte ich ihm entgegen. Er solle doch bitte einmal zeigen, welches Kapitel ihn besonders beschäftigt hat? „Es hängt davon ab, um welche Ausgabe es sich handelt“, antwortet Eisenach und blättert nach dem Erscheinungsjahr. Es ist ein Exemplar von 1954. Das passt. „Wir verwenden im Stück die Einleitung. In dieser frühen Ausgabe stellt sich der Sozialismus als rationalistische, antifaschistische und zukunftsorientierte Antimythologie dar und nimmt für sich in Anspruch, die Ideologie der Zukunft zu sein im Gegensatz zum Kapitalismus, in dem man der Verunklarung anhängt. Man präsentiert eine Triggerideologie für eine wissenschaftliche Weltsicht.“ In späteren Ausgaben, so der Regisseur, werde es realpolitischer, viel bürokratischer und verliere die science-fictionhafte Vision.

Die heutige Gesellschaft befindet sich in einem Besitzstandsmodus

Eisenach zeigt auf das Geleitwort und das Kapitel über die Weltanschauungen. Darum gehe es im Stück und weniger um das, was über Evolutionstheorie oder den Kosmos drin stehe. „Das Geleitwort beginnt mit dem Satz: ,Dieses Buch ist das Buch der Wahrheit’. Was für eine Anmaßung?“ Genau genommen sucht der Regisseur nach alten Träumen und der Fantasie, die damals freigesetzt wurde. „Man findet auch bei Schriftstellern der Zeit oder in Büchern über Raumfahrt, dass man von der Besiedelung von Planeten träumt. Das tut man heute auch noch, aber rückblickend war es ein Versuch, das Irrationale in der Gesellschaft auszumerzen.“ Demnach wäre alles berechenbar und auflösbar.

„Für uns ist Zukunft heute eher ein Angsthorizont“, sagt Eisenach. „Alle haben Angst, dass es mit ihrem Wohlstand bergab geht und das die Natur dem Untergang nahe ist. In den 1960er-Jahre gab es noch Träume vom Besserwerden. Der klassische Spruch: Unsern Kindern soll es mal besser gehen als uns. Heute hoffen Eltern, dass es ihnen nicht schlechter gehen wird als mir. Wir befinden uns im Besitzstandsmodus.“

Im Theater sei es interessanter, wenn eine Geschichte utopische und dystopische Aspekte enthalte, sagt der Regisseur. Die Gesellschaft sollte danach streben, Ungleichheiten abzubauen, formuliert er seine Utopie. „Sie sollte nach einer sinnstiftenden Erfahrung jenseits von Besitz suchen. In unserem Stück spielen patriarchalische Strukturen und Feminismus eine Rolle. Wir kommen auf eine Viele-Welten-Theorie, in der sich verschiedene Paralleluniversen abbilden.“ In einem der vorgeführten Universen existieren keine Männer mehr. „Die Erde wird allein von Frauen bevölkert. Wir besuchen sie“, sagt Eisenach. „Science-Fiction bedeutet für mich Reisen.“

Science-Fiktion ist heute immer auch ein popkulturelles Genre

Es werden im Stück also Leute auftauchen, die vielleicht durch Portale gekommen sind. „Oder die sich von einem Universum ins andere winden können“, beschreibt Eisenach. „Wir konfrontieren eine Welt mit ihren Annahmen mit einer anderen Welt und deren Annahmen. So entstehen die Reibungen zwischen den Utopien, die sich vielleicht auch als Dystopien offenbaren.“ Viel mehr will er aber über sein collagenhaftes Stück vor der Premiere gar nicht preisgeben.

Science-Fiction sei immer auch ein popkulturelles Genre, weiß der Regisseur. Aber Science-Fiction basiere auf Wissenschaft. „Ein Beispiel. Einstein entdeckte die Relativitätstheorie. Die Ideen hinter der physikalischen Struktur von Raum und Zeit inspirieren Menschen, Kunst zu machen. Es entstehen Bücher und Filme über Zeitreisende.“

Die Leute, die damals „Weltall Erde Mensch“ als Buch erhalten haben, sind eigentlich nicht mehr jene, die das Theater heute erreichen wird. Es haben Generationswechsel stattgefunden, der Bildungs- und Erfahrungshorizont ist ein anderer. „Es verschieben sich bestimmte Wichtigkeiten für die Leute. Es mag sein, dass Marx in der jungen Generation nicht mehr so eine große Rolle spielt“, sagt der Regisseur. „Ich erlebe viele junge Menschen sehr schlau. Es ist eine Jahrtausende alte Bewegung, dass die Alten immer sagen, alles wird immer schlimmer und die Jungen wissen nichts mehr.“

Vor zehn Jahren, so Eisenach, „wurde gemeckert, dass die junge Generation so unpolitisch und spaßorientiert ist. Jetzt haben wir eine extrem politisierte Generation und plötzlich ist von Radikalisten und Extremisten die Rede. Ich finde schon, dass es ein starkes politisches Bewusstsein in der Gesellschaft gibt.“ Unsere Gegenwart bestehe aus so vielen Dingen, die man nicht in einfache Schemen pressen sollte, sagt der Regisseur: „Im Theater findet ein Durchleben statt.“

Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, Mitte. Tel. 28441-225 Termine: 16.9. (Premiere), 17., 24., 30.9.; 7., 21., 22., 30.10.