Berlin. Anja Siegemund lädt als Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum zum Tag des offenen Denkmals.

Wenn die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum am Sonntag ihre Türen an der Oranienburger Straße öffnet, dann gibt es diesmal keine Grußworte zu Beginn, sondern ein „Speed-Dating“. „Bei größeren Veranstaltungen gibt es immer Grußworte, aber wir wollten völlig darauf verzichten“, sagt Museumschefin Anja Siegemund. „Trotzdem wollen wir uns nahestehende Menschen einmal vorstellen und befragen. Eva Lezzi wird auf der Bühne Leute zu kurzen Speed-Datings empfangen, und zwar über den Tag verteilt.“ Da offenbart sich ein ganz eigener Humor.

Speed-Datings machen an diesem „Tag des offenen Denkmals“ unter anderem Gesa Ederberg, die Rabbinerin in der Synagoge Oranienburger Straße, Shila Erlbaum, Kulturreferentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Antisemitismus-Beauftragte Sigmount Königsberg und Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, die hier aber als Vorsitzende des beratenden Kuratoriums befragt wird. Dabei ist auch Fotograf Günter Krawutschke, der ab 1988 den Wiederaufbau der Neuen Synagoge Berlin begleitet hat. Seine Ausstellung „Zeiten des Umbruchs“ wird am 13. September eröffnet.

Nach der Schnellfragerunde öffnet das Museum unter dem Motto „Was treibt uns an?“ verschiedene Türen ins jüdische Leben hinein. „Ich begreife Museen als sehr moderne Institutionen. Viele halten Museen als zuständig für eher rückwärtsgewandte Bewahrung und sehen darin etwas historisch Eingefrorenes“, sagt Anja Siegemund. „Aber Museumsleute heute haben nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft im Blick. Wir sammeln, bewahren und präsentieren Objekte. Zugleich suchen wir in ihnen nach der Relevanz in der Gegenwart, wir suchen den Dialog mit der Stadtgesellschaft.“

In einer Videobox sollen Menschen von ihrem jüdischen Berlin erzählen

Das findet auf ebenso ernsthafte wie originelle Art auch am Sonntag statt. „Dafür haben wir unsere Videobox. Dort bitten wir die Menschen, uns von ,ihrem jüdischen Berlin’ zu erzählen. Dabei machen wir keinen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden beziehungsweise wir sagen: Jeder und jede kann eine Beziehung haben. Klar ist, dass Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven auf jüdisches Berlin blicken.“ Die Antworten werden so divers sein, sagt die Direktorin, wie es unsere Gesellschaft ist.

Man hat bereits Erfahrungen gesammelt. In der Ausstellung „Jüdisches Berlin erzählen. Mein, Euer, Unser?“ wurden Menschen nach ihren Beziehungen und Objekten befragt. „Einer brachte einen Teddybär mit, ein anderer einen Stromprüfer, andere verwiesen auf Bücher. Genau diese emotionalen Beziehungen wollen wir herausfinden.“ Die Videoinstallation „Mein jüdisches Berlin“ wird nach wie vor im Museum gezeigt.

Um „Gefühlsdinge“ geht es auch im Repräsentantensaal. Digital werden Objekte aus der Sammlung wie ein siebenarmiger Leuchter oder eine Besamimbüchse mit Gewürzen gezeigt. „Wir fragen, was sie jüdischen, aber auch anderen Communitys bedeuten? Wir wollen immer ins Gespräch kommen.“ Das Centrum Judaicum hat in den vergangenen Jahren den Bereich und Vermittlung ausgebaut.

Treffen mit einer der wenigen Schreiberinnen von heiligen Texten

Natürlich wird es auch Führungen durchs Gebäude geben. „Unbekannte Ecken“ werden vorgestellt. „Es gab eine Bar Mitzwa-Zeremonie im Keller des Hauses während der NS-Zeit. Die Feier sollte geheim bleiben“, sagt die Direktorin. „Der letzte offizielle Gottesdienst fand im Hauptraum 1940 statt, bis 1942 gab es noch welche im Repräsentantensaal. Die Menschen suchten nach Auswegen, geheime Gottesdienste fanden dann im Keller statt. 1942 mussten sich Mitglieder der Gemeinde im Repräsentantensaal aufstellen und wurden von hier aus deportiert.“

Die Mikwe, das rituelle Tauchbad, kann man am Sonntag besichtigen. „Esther Kontarsky ist Mitglied der Synagogengemeinde Oranienburger Straße und gehört zu unseren Guides“, sagt die Leiterin. Auch im Programmpunkt „Schreiben von heiligen Texten, live“ ist Frau Kontarsky anzutreffen. „Sie ist eine ausgebildete Schreiberin, eine Soferet, was etwas ganz Besonderes in der jüdischen Welt ist. Es gibt weltweit wohl nicht mehr als 50 Frauen, die diese besondere Kunst beherrschen. Wir wollten sie unbedingt im Programm haben.“

Im Gebetsraum kann man die Rabbinerin befragen. „Ich finde es gut, dass die Gemeinde, die das Haus belebt, einbezogen ist. Die Menschen können ohne Scheu Fragen über das Judentum an Rabbinerin Gesa Ederberg stellen. Fragen, auf die wir Museumsleute vielleicht gar nicht antworten können.“ Allerdings fügt die Museumschefin hinzu: „Wir sehen uns nicht als religiöse Einrichtung. Darauf beharre ich. Unser Museum ist eine kulturelle Einrichtung. Und auch aus dem politischen Tagesgeschäft halten wir uns raus, bei manchem Grundsätzlichen beziehen wir Stellung. Und vor allem: wir geben vielen Stimmen Plattformen.“

Das Literarische findet in der Rundbühne auf der Freifläche statt. „Das Jüdisch-Literarische Rondeel ist ein Flaggschiff-Projekt für uns“, sagt Anja Siegemund, die selber mitdiskutiert. Beim Rondeel ist Verlagslektor Thomas Sparr der Gastgeber. Die Berliner Schriftstellerin Dana Vowinckel stellt ihren gerade bei Suhrkamp erschienenen Familienroman „Gewässer im Ziplock“ vor.

Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Oranienburger Str..28-30, Mitte. Am 10.9. von 10 bis 19 Uhr. Eintritt frei