Berlin. Die britische Rockband stellte in London ihr neues Album „Hackney Diamonds“ vor. Es wird im nächsten Monat erscheinen.
In den Anfangsjahren der Rolling Stones gaben Mick Jagger und Keith Richards schon mal eine Pressekonferenz zu ihrem neuesten Werk einfach auf der Straße. Es kamen ohnehin nur zwei Journalisten. Denen überreichte man das frisch gepresste Vinyl mit den Worten: „Das ist unser neues Album.“ Heute arbeitet die weltweit bedeutendste Rockband mit einem ausgefuchsten Marketing-Konzept, um ihren neuen Longplayer „Hackney Diamonds“ publikums- und medienwirksam vorzustellen. Und zwar mit einem Livestream, für den sich Millionen Fans rund um den Globus registriert haben.
Zur Übertragung haben die Rolling Stones eigens ein Theater im Ostlondoner Stadtbezirk Hackney angemietet. Das war bis auf den letzten Platz mit Fans gefüllt, die beim halbstündigen Countdown mindestens ebenso gespannt auf die Show der Rocklegenden waren wie die Zuschauer an den Bildschirmen zu Hause. Um die Spannung noch mal zu steigern, wurden unter dem Motto „Warten auf die Rolling Stones“ noch weitere fünf Minuten runtergezählt. Was für eine Dramaturgie.
Dann aber erschienen die Rolling Stones endlich auf der Bühne. Von US-Moderator und Komiker Jimmy Fallon mit großer Geste als seine Lieblingsband angekündigt, nahmen Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood, allesamt im typischen Rock-‘n’-Roller-Schwarz gekleidet, auf der Bühne in plüschig roten Sesseln Platz. Bereit, die ersten Details zu „Hackney Diamonds“ zu verraten. Die wichtigste Neuigkeit gab es von Mick Jagger (80) gleich schon mal vorweg: Das Album erscheint am 20. Oktober.
Von Dezember 2022 bis Januar 2023 waren die Rolling Stones im Studio
Ron Wood (76) erzählte, dass es mit den Aufnahmen letztlich sehr schnell geklappt hat. Keith Richards (79) indes verwies launig auf die 18 Jahre, die es immerhin dauerte, endlich mal neues Material aufzunehmen. Von Dezember 2022 bis Januar 2023 waren die Rolling Stones im Studio. Insgesamt 23 Tracks haben sie aufgenommen. Zwölf Titel haben es auf das Album geschafft. Darunter zwei Tunes, die sie schon 2019 mit dem 2021 verstorbenen Charlie Watts eingespielt hatten. In Gedenken an ihn gibt es zudem einen Tribute-Song, „Live By The Sword“, zu dem die Stones ihren ehemaligen Bassisten Bill Wyman eingeladen haben. Es sei alles anders gewesen ohne Charlie, den alle schmerzlich vermissen, gestand Keith Richards.
Angesichts der Vielzahl herausragender Album wird sich zeigen, wo sich „Hackney Diamonds“ einreihen wird. Ein Grund, einmal genauer auf die Diskografie der Band zu schauen. Das kommerziell erfolgreichste Album der Rolling Stones ist die mehrfach diamant- und platinveredelte Compilation „Hot Rocks 1964– 1971“ von 1971, die Platz 4 der US-Album-Charts erreichte und über 400 Wochen in den Charts gelistet war. Bis heute haben die Rolling Stones über 90 Studio- und Livealben, Compilations und EPs veröffentlicht. Dazu kommen knapp 99 Singles, 45 Videoalben und elf Box-Sets. Ein gigantischer Output also.
Die Angaben über die Zahl der verkauften Tonträger schwanken zwischen 260 und 300 Millionen. Zum Vergleich: Die Beatles als unangefochten erfolgreichste Band aller Zeiten haben über 1,3 Milliarden Tonträger verkauft. Elvis Presley sogar 1,4 Milliarden. Dennoch sind die Rolling Stones definitiv die größte Rockband weltweit. Und die beständigste. Ihre kreativste Phase hatten die Musiker von Mitte der 60er bis Anfang der 70er. In dieser Zeit entstanden Alben mit jenen Songs, die auch ein halbes Jahrhundert später nichts von ihrem Reiz verloren haben.
Die Musik der Stones traf den Nerv einer rebellischen Generation
Wie „Aftermath“, ihr viertes Album aus dem Jahr 1966, das erstmals nur Eigenkompositionen enthält. Darunter der Signature-Hit „Satisfaction“. Auf dem Longplayer finden die Stones auch zu ihrem eigenen Stil. Statt Blues dominiert nur Rock den Sound. Und mit Songs wie „Under My Thumb“ und „Stupid Girl“ begründete Mick Jagger sein Macho-Image. Mit „Beggars Banquet“ 1968 und dem direkten Nachfolger „Let It Bleed“ 1969 gingen zwei weitere Stones-Alben in die Rockgeschichte ein. Mit Songs wie „Street Fighting Man“ traf die Musik den Nerv einer rebellischen Generation. Und „Gimme Shelter“ sowie „You Can’t Always Get What You Want“ gehören bis heute zu den besten Titeln der Band.
Das neunte Studioalbum „Sticky Fingers“ erschien 1971 schließlich auf dem hauseigenen Label Rolling Stones Records. Unter anderem mit den grandiosen Tracks „Brown Sugar“ und „Wild Horses“. Auf dem Album tauchte auch erstmals das berühmte Zungenlogo auf. Nachdem sich die Beatles aufgelöst hatten, war es zudem ein Statement im Wettbewerb um die Nachfolge als wichtigste Band der Welt. Nicht nur wegen der über jeden Zweifel erhabenen Musik, auch wegen des von Andy Warhol gestalteten Covers machten die Rolling Stones eindeutig das Rennen. Der Titel „Sticky Fingers“ bedeutet übrigens frei übersetzt in etwa „Diebische Finger“, „Langfinger“. In diese verbrecherische Tradition reiht sich „Hackney Diamonds“ nun ein.
Mick Jagger erklärte, dass der Titel im Ostlondoner Slang zerbrochenes Glas bezeichnet, insbesondere solches, das bei einem Diebstahl zu Bruch gegangen ist. Hackney ist außerdem im Moment äußerst trendy. Also genau der richtige Ort, um neue Musik anzukündigen.
Höhepunkt des Livestreams sollte denn auch die weltweite Videopremiere des neuen Songs „Angry“ sein. Vorher verabschiedeten sich die Rolling Stones nach genau 20 Minuten Gespräch. Doch statt der versprochenen Videopremiere gab es offenbar technische Probleme – und für alle Fans vor den Bildschirmen ging es erst mal in die Warteschleife.