Berlin. Das Jüdische Museum Berlin beschäftigt sich in seiner neuen Ausstellung mit dem Jüdischsein in der früheren DDR.
„Ein anderes Land“ hat das Jüdische Museum seine neue, detailreiche Ausstellung genannt. Es geht um das Jüdischsein in der DDR. Über das Leben von Juden in jenem anderen Land, das nur gut vier Jahrzehnte lang existierte, ist vergleichsweise wenig bekannt. „Es ist ein sehr subjektiver Zugang und es geht stark um Erinnerungen“, sagt Kuratorin Tamar Lewinsky zur neuen Ausstellung. „Die Stimmen unserer Akteure stehen im Vordergrund. Wir wollen eine Multiperspektivität schaffen. Und wir zeigen, wie unterschiedliche Generationen Ereignisse in der DDR bewerten.“
Mit Zahlen und Fakten ist dem Thema kaum beizukommen. Offiziell gab es nur acht Gemeinden in der DDR – in Ost-Berlin, Dresden, Leipzig oder Schwerin. Der Religionsbetrieb war im sozialistischen Staat generell unerwünscht und wurde misstrauisch beäugt. Die Selbstvergewisserung des Judentums fand im Sozialismus anderswo statt. In dieser Ausstellung verweist man auf politisch-historische Knotenpunkte wie die antiisraelische Scharfmacherei der DDR-Diktatur im Sechs-Tage-Krieg 1967 oder die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976, zu denen sich Juden irgendwie verhalten mussten. Deshalb sei zuerst einmal ein Blick auf die Endzeit der DDR geworfen. Am 4. November 1989 hatten Theatermacher auf dem Alexanderplatz eine Riesendemo organisiert.

In der Theaterkantine der Volksbühne wurde die nichtstaatliche Kundgebung geplant, und der zufällig dabei sitzende Rechtsanwalt Gregor Gysi verwies auf die Anmeldung der Demo. Gysi war einer der 23 Redner auf dem Alexanderplatz, heute kennen wir ihn als prominenten Politiker. Seltsamerweise findet er in der Ausstellung kaum statt. Andere werden zitiert. Unter den Rednern befand sich die populäre Volksbühnen-Schauspielerin Steffie Spira, die vor den Nazis nach Mexiko geflohen war und am 4. November für die Freiheit ihrer Nachkommen eintrat. Der für die Regierung unbequeme Großschriftsteller Stefan Heym („Ahasver“) sprach, später saß er für die PDS im Bundestag. Unter den Rednern war der Ex- Stasi-Generaloberst Markus Wolf, der bis 1986 die DDR-Auslandsspionage leitete.
Der Ausstellung war ein Aufruf des Jüdischen Museums vorangegangen
Der Ausstellung war ein Aufruf vorangegangen, dem Jüdischen Museum persönliche Objekte nebst Erinnerungen an die 1949 gegründete DDR anzuvertrauen. Das Kuratorenteam, das zuvor das Thema Nachkriegszeit in der großen Dauerausstellung betreut hatte, war auf Löcher in der jüdischen Geschichtserzählung gestoßen. Nach dem Krieg hatten in der Sowjetischen Besatzungszone rund 3500 Juden und Jüdinnen gelebt. Es waren KZ-Überlebende, Menschen, die im Versteck überlebt hatten, oder Remigranten aus Palästina, Großbritannien oder den USA.
„Die erste Generation war mit sehr viel Hoffnung und Idealismus zurückgekehrt“, sagt Tamar Lewinsky. „Sie wollten in einen anderes Deutschland kommen. Das findet sich häufig in den Zitaten. Sie haben an die Utopie geglaubt und auch lange daran festgehalten, weil sie keine andere Möglichkeit für sich sahen.“ In der zweiten Generation veränderte sich das Bild. „Sie gingen stärker in Opposition zu den Eltern“, so die Kuratorin. „In den Interviews sehen wir jetzt auch rückblickend ein stärkeres Verständnis der Kinder für die Handlungsmotive der Eltern. In der zweiten Generation haben sich viele auch wieder stärker mit dem Judentum auseinander gesetzt. Viele hatten über ihre Eltern wenig über die eigene Familiengeschichte erfahren.“
In Berlin lebten viele der Remigranten in den sogenannten Intelligenzsiedlungen: in Pankow und Grünau. Das religiöse Zentrum war die Synagoge Rykestraße. Es gab eine koschere Fleischerei im Prenzlauer Berg. Der jüdische Friedhof war in Weißensee, die Gemeindebibliothek in der Oranienburger Straße. „Uns hat die Unterschiedlichkeit der Erfahrungen überrascht“, sagt die Kuratorin. „Es gibt verschiedene Blicke darauf, ob die DDR antisemitisch war oder nicht.“
Die Leadsänger von drei erfolgreichen Rockbands waren Remigrantenkinder
Einen Sederteller, den Familien daheim beim Pessachfest benutzen, hat der Sänger André Herzberg von der Rockband „Pankow“ beigesteuert. Man kann noch das kleine nachgebohrte Loch sehen, weil der Teller bei der Familie an der Wand hing. Die Leadsänger von drei der erfolgreichsten Rockbands teilten sich in der DDR die Erfahrung, als Kinder von Remigranten aufzuwachsen. Die Eltern von Martin Schreier (Stern-Combo Meißen) hatten in Belgien dem Widerstand angehört. Die Stern-Combo Meißen wird übrigens am 21. September ein Konzert im Glashof des Jüdischen Museums geben. Die Familien von André Herzberg (Pankow) und Toni Krahl (City) waren aus dem britischen Exil zurückgekehrt. Die Fans in der DDR dürften kaum etwas über das Jüdischsein ihrer Idole gewusst haben. Darüber sprach man nicht.

Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust wurde vor allem in Literatur, Film oder Kunst verarbeitet, sagt Tamar Lewinsky. „Die jüdische Erfahrung wurde staatlicherseits in der DDR nicht gesondert erforscht, es war Teil des allgemeinen Antifaschismus-Diskurses. Allerdings gab es in den späteren 1980er-Jahren eine außenpolitisch motivierte Hinwendung zur jüdischen Geschichte. Es gab auch in der Bevölkerung ein größeres Interesse an der jüdischen Kultur.“
Die Ausstellung lebt zuerst von den Zeitzeugen und ihren Objekten, den Fotos und den Erinnerungen. „Jedes Objekt hat eine besondere Geschichte. Als ich das erste Mal einen vom Dachverband der Jüdischen Gemeinden herausgegebenen Kalender gesehen habe, in dem jüdische und staatliche Feiertage nebeneinander notiert sind, war ich begeistert. Dann kam das nächste Objekt, das Begeisterung weckte.“ Im ersten Raum steht ein ramponierte Truhe, auf der die Rückreise-Stationen London-Brussel-Berlin stehen. Es ist eine Leihgabe der Familie Zimmering.
Traurig wirkt die Keramik-Figur „Henriette“ von Marion Kahnemann in einer Vitrine. Pensionswirtin Henriette Schmager hatte versteckt auf einem kleinen Schiff in Potsdam die Schoah überlebt. Ihr 90. Geburtstag fiel Mitte der 1980er-Jahre in die Zeit, als Erich Honecker gute Kontakte in die USA haben wollte und plötzlich die Juden im eigenen Land entdeckte. Das DDR-Fernsehen war beim Staatsakt von Henriettes Geburtstag dabei. Sie stand einsam im Dresdner Hotelvestibül und trug, so Marion Kahnemann, „ein strahlend blaues Kleid mit einem großen Davidstern.“
Seltsam muten in einer anderen Vitrine die Jugendfotos der Schriftstellerin Marion Brasch an. Auf einem wird sie von Palästinenserchef Jassir Arafat, der von der DDR massiv unterstützt wurde, geherzt. Sie wisse, wie grotesk die Szene heute wirkt, schreibt Marion Brasch, „trotzdem gehören die Fotos zu meinen Lieblingskinderbildern.“ Über die DDR selbst erfährt man in der Ausstellung überraschend wenig.
Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, Kreuzberg. Täglich 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 8/ermäßigt 3 Euro. Bis 14. Januar