Gedenktag

17. Juni 1953 - Wie Berlin des Volksaufstands gedenkt

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Moritzu van Dülmen (Kulturprojekte Berlin) und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor einer der Schautafeln.

Moritzu van Dülmen (Kulturprojekte Berlin) und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor einer der Schautafeln.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

In Sichtweite der russischen Botschaft erinnern Schautafeln an die Niederschlagung des Aufstands durch sowjetische Panzer.

Berlin.  Der 17. Juni 1953 ist ein Tag, der in Vergessenheit zu geraten droht. Nur jeder siebte Befragte im Alter von 14 bis 29 Jahren könne spontan etwas mit dem historischen Datum anfangen, teilte die Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur am Montag mit. Insgesamt verbinden jeder und jede zweite in Ostdeutschland und vier von zehn Befragten in Westdeutschland mit dem Datum den brutal niedergeschlagenen Volksaufstand in der DDR, der sich am kommenden Sonnabend zum 70. Mal jährt.

Das muss gerade in Berlin zu denken geben, der mit dem 17. Juni 1953 auf so besondere Weise verbundenen Stadt. In der 1992 abgerissenen Werner-Seelenbinder-Halle an der Paul-Heyse-Straße in Prenzlauer Berg hatte vom 9.-12. Juli 1952 die 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands stattgefunden, auf der Staatschef Walter Ulbricht den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ verkündete. Ökonomische Talfahrt und politische Krise der DDR verschärften sich dennoch, auch nach Stalins Tod am 5. März 1953. Die SED-Führung sah sich zu einer Erhöhung der Arbeitsnormen um 10,3 Prozent gezwungen, die sie im Rahmen des „Neuen Kurses“ erst viel zu spät zurücknehmen sollte.

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An der Stalinallee fanden sich schon am 16. Juni 1953 um 8.30 Uhr erste Demonstranten zusammen. Gegen 10 Uhr waren es schon rund 300 Menschen, die ungeordnet Richtung Mitte strömten. Um die Mittagszeit waren Molkenmarkt, Alexanderplatz und Breite Straße von Protestierenden bevölkert. Das Ziel: das „Haus der Ministerien“ an der Leipziger Straße / Ecke Wilhelmstraße, das ehemalige Reichsluftfahrtministerium und heutige Bundesfinanzministerium. Der West-Berliner Rias berichtete über die Demonstrationszüge, die auch mit Durchsagen aus Lautsprecherwagen, wonach die Normenerhöhungen zurückgenommen seien, nicht zur Ruhe gebracht werden konnten. Die Sprechchöre politisierten sich im Lauf des Tages, es wurden nun auch freie Wahlen und ein Rücktritt der Regierung gefordert.

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Im Laufe des folgenden 17. Juni dehnte sich der Aufstand auf die gesamte DDR aus, überall wurde die Arbeit niedergelegt. In der Ost-Berliner Innenstadt waren schon am frühen Morgen Panzerspähwagen der Roten Armee aufgefahren. Stahlarbeiter aus Hennigsdorf zogen nun auch durch den französischen Sektor. Es kam zu revolutionären Szenen: Am Lustgarten versammelten sich um die Mittagszeit 50.000 Menschen, sowjetische Panzer fuhren in die Menge, am Potsdamer Platz fielen Schüsse. Gegen 13.15 Uhr wurde der Ausnahmezustand verhängt und rigoros gegen die Demonstranten vorgegangen. Am Potsdamer Platz ging das Columbushaus in Flammen auf. Um 16 Uhr waren Potsdamer und Leipziger Platz abgesperrt und von bewaffneten Polizisten bewacht, der Aufstand war niedergeschlagen. Mindestens 55 Menschen kamen an diesem Tag ums Leben oder starben an den Folgen der gewaltsamen Reaktion der Staatsmacht.

Zum Jahrestag erinnert Kulturprojekte Berlin in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Aufarbeitung und dem Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED mit großformatigen Fotos und Erläuterungstexten an die Geschehnisse des 17. Juni. Dafür wurden authentische historische Orte ausgewählt: die Karl-Marx-Allee, der Potsdamer Platz oder der Friedhof Seestraße, wo elf Opfer des Aufstandes ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Mit einer klaren politischen Aussage ist der Standort Unter den Linden verbunden: Die Schautafeln befinden sich auf dem Mittelstreifen direkt gegenüber der Russischen Botschaft und schlagen damit auch eine Brücke von den sowjetischen Panzern 1953 zu Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine in der Gegenwart.

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Am Montag wurde diese kompakte Schau in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) vorgestellt. „Die Bilder zeigen die Tapferkeit der Menschen, die im Angesicht von Panzern für ihre Freiheit und Demokratie kämpften“, so Wegner. Moritz van Dülmen, Geschäftsführer von Kulturprojekte Berlin, sagte, man wolle dem Ereignis „an das bis zur Einheit in Westdeutschland ein gesetzlicher Feiertag erinnerte und das mit seiner Abschaffung zunehmend in Vergessenheit geriet, eine neue Sichtbarkeit geben“.

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Dabei gehört es zum Konzept, den Aufstand abseits der Chronologie in Schlaglichtern zu beleuchten. Ein einfaches Fernglas dürfte genügen, um von einem Fenster der russischen Botschaft aus die Schautafel über die Propagandaausstellungen zu studieren, mit denen die SED-Staatsführung den Volksaufstand im Nachhinein zum faschistischen Putsch erklären wollte. Unter der Überschrift „Sowjetpanzer – Friedensboten“ wurde etwa im VEB Stern Fleischwaren in Weißensee vom erfolgreichen Kampf gegen westlich gesteuerte Konterrevolutionäre fantasiert. „Die Parallelen in der Wortwahl zu heute gängigen Rechtfertigungen des russsischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind kein Zufall, sondern eingeübtes Propagandamuster“, heißt es im Begleittext zum Bild.

Der Deutsche Bundestag wird den Volksaufstand am Freitag mit einer Gedenkstunde und einer Rede des Bundespräsidenten würdigen. Am Sonnabend ist um 11 Uhr eine Gedenkveranstaltung am Mahnmal für die Opfer des Volksaufstandes auf dem Friedhof Seestraße in Wedding geplant.