Wenn er kommt, gelten andere Gesetze. Nicht unbedingt andere Gesetze der Musik, aber andere Bedingungen, unter denen sie aufgeführt und wahrgenommen wird. Denn Lang Lang ist der Popstar unter den Pianisten, seine Auftritte sind Kultveranstaltungen, die seine seit 25 Jahren stetig wachsende, weltweite Fangemeinde in den Ausnahmezustand versetzt. So begrüßte ihn das Publikum in der Philharmonie derart enthusiastisch, als hätte er bereits sämtliche Klavierkonzerte von Beethoven gespielt, dabei war von Numero 3 noch kein Ton erklungen, und auch die ersten drei Minuten fanden, aufgrund der berühmten langen Orchestereinleitung, ohne Lang Lang statt. Geht das: ohne Lang Lang? Nicht wirklich. Denn wie bei allen Stars genügt auch bei ihm die bloße Präsenz. Es ist auch nicht besonders wichtig, was er spielt – der Chinese gewinnt immer.
Denn sein Spiel und vor allem seine Gestik sind von spontan gewinnender Art, sympathisch und originell und extrem unterhaltsam. Lang Lang ist kein Grübler, kein Philosoph; er versteht es, die Massen auf höchstem Niveau zu unterhalten, wozu ein überragendes Talent erforderlich ist. Aus akademischer Perspektive ließe sich einiges gegen seine Interpretationen vorbringen, doch geht das ewige Bekritteln seiner angeblichen Effekthascherei an der Wahrheit vorbei, schließlich haben wir es im 3. Klavierkonzert Beethovens mit einer Fülle von Effekten zu tun, für die der Komponist verantwortlich ist. Lang Lang prononciert sie nur ein wenig.
Seine Sforzati, das heißt, die mit Nachdruck angerissenen Töne, fallen bei ihm besonders scharfkantig aus, und im Finalsatz will seine Linke einmal gar die unterste Oktave zertrümmern; das elegante Passagenwerk mancher Läufe wiederum wirkt geradezu aufreizend beiläufig und nachlässig, die leisen Töne nehmen die Klangfarbe von Holzbläsern an, und nicht selten dirigiert er auch wenig mit, wenn ihm Beethoven die Zeit lässt, oder die Hände schweben wie Schwäne über der Tastatur.
Als Zugabe spielte er „Rainbow connection“ aus dem Muppets-Film
Alles nur Effekte? Eher doch die ganz eigene Art des in New York lebenden Chinesen, seine Freude an der Musik mitzuteilen. Der Saal stand jedenfalls Kopf, und das wäre nicht anders gewesen, hätte Lang Lang nur Clayderman oder Einaudi gespielt. Mit der Zugabe, „Rainbow connection“ aus dem Muppets-Film, stieg er dann tatsächlich in trivialere Regionen hinab. Was eine Barbra Streisand durfte – warum sollte man es einem Lang Lang verdenken.
Ach ja, es trat auch das Mahler Chamber Orchestra auf. Beethovens „Coriolan“-Ouvertüre und die 5. Symphonie fungierten keineswegs als Rahmenprogramm. Andris Nelsons sorgte für geschliffene Deutungen voller Vehemenz und Tiefsinn. Das Nomadenensemble (es hat keinen festen Sitz) erwies sich im 25. Jahr seines Bestehens als glänzend besetzt auf allen Positionen und wirkte im vierten Konzert dieser Geburtstagstournee unter Nelsons erfreulich frisch. Der Lette, hauptamtlich Chef in Leipzig und Boston, ist kein Matador des Taktstocks, doch elektrisieren die von ihm erzielten Resultate oft stärker als das, was so manch ein Stardirigent zustande bringt.