Berlin. Fabian Hinrichs ist derzeit mit zwei ganz gegensätzlichen Projekten in der Kulturwelt präsent. An der Berliner Volksbühne läuft seine Inszenierung von Lord Byrons Drama „Sardanapal“, an diesen Sonntag wiederum ist er als Hauptkommissar Felix Voss im neuen Franken-„Tatort“ zu sehen. Doch beide Felder seiner Aktivitäten haben auch überraschende Gemeinsamkeiten, die der 49-Jährige ganz intensiv reflektiert. So ist das Gespräch mit dem Darsteller, der durch „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ bekannt wurde, auch ein wilder Ritt durch die westliche Geistesgeschichte, von Friedrich Nietzsche bis Woody Allen, vom wahren Leben bis zum Ursprung der Melancholie.
Sowohl in der neuen „Tatort“-Folge wie in Sardanapal“ geht es um das Thema ‚Vergänglichkeit‘. Inwieweit machen Sie sich dazu persönlich Gedanken?
Fabian Hinrichs: Fast jeden Tag. Man weiß ja, dass man irgendwann stirbt und will deshalb das Leben ergreifen. Unbewusst setzt sich wohl jeder damit auseinander, indem er tolle Urlaube macht oder sich besonders viel Freizeit wünscht. So haben wir ja auch eine neue Generation, die nur noch vier Tage arbeiten will. Eben weil sie im Angesicht der Sterblichkeit das Leben leben möchte.
Was tun Sie, damit Ihnen selbst das Leben nicht entgleitet?
Jeder hat seine persönlichen Strategien. Bei mir sind es die langfristigen Bindungen zu anderen Menschen. Durch diese Dauer einer Beziehung entsteht Tiefe. Ich finde, dass man Erfahrungen gemeinsam machen muss. Ansonsten ist das ein bisschen schal. Aus diesem Grund bin ich ein sogenannter „Familienmensch“.
Können Sie in Ihrem Beruf als Schauspieler und Regisseur der Vergänglichkeit trotzen?
Ich habe einen wunderbaren und einen furchtbaren Beruf. Wunderbar ist, dass ich im Augenblick eine Lebensintensität erfahren kann. Der Regisseur Andrei Tarkowski hat einmal gesagt, dass Film eine Skulptur in der Zeit sein kann, wenn er gelingt. Damit meinte er, dass man für einen Moment die Zeit anhält. Aber alles, was Aufführungscharakter hat, verschwindet auch wieder. Selbst Film ist vergänglich und altert. Nur in Literatur, Musik oder Malerei kann etwas fortleben. Andererseits fällt mir dazu dieser unschlagbare Satz von Woody Allen ein: „Neulich sagte jemand zu mir, dass ich in den Herzen meiner Landsleute weiterleben werde. Ich will aber in meinem Appartement weiterleben!“
Ob ein künstlerisches Werk Bestand hat, hängt teilweise auch davon ab, wie es von den Kritikern bewertet wird. Wie gehen Sie persönlich mit Kritik um?
Für mich ist es wichtig, von wem es bewertet wird. Ich will nicht ständig mit Zitaten um mich werfen, aber man kann es nicht besser sagen als Nietzsche, der meinte: „Nur wer mich liebt, darf mich kritisieren.“ Man muss immer schauen: Wer kritisiert? Wir leben ja in einer extremen Bewertungskultur. Aber Leute auf sozialen Medien, die ich nicht kenne, sind für mich nicht relevant. Für mich ist entscheidend, wie Leute, die einen lieben und verstehen, etwas sehen. Je weiter die in Bezug auf Herz und Hirn von mir entfernt sind, desto unwichtiger wird Kritik.
Allerdings kann negative Kritik zu einem wirtschaftlichen Misserfolg führen.
Ich habe von den künstlerischen Gesichtspunkten gesprochen. Die Impressionisten wurden beispielsweise zu ihrer Zeit heftig verrissen, also waren sie teilweise gezwungen, gegenständlich zu malen, weil sie nicht pleite gehen wollten.
Ist dann der „Tatort“ so etwas wie „gegenständliches Malen“?
Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Denn es gibt nicht den einen „Tatort“, sondern unterschiedliche Filme mit unterschiedlicher Tiefe und Ästhetiken. Letztlich ist es ein Spagat. Einerseits ist der „Tatort“ ein Teil der Massenkultur, der die Leute erreichen soll. Insofern ist das etwas wie gegenständliche Malerei. Andererseits ist, was wir erarbeiten und womit wir ringen, kein seelenloses Zugeständnis an ökonomische Bedürfnisse. Wir versuchen eine Intensität und Atmosphäre zu erzeugen, die über Alltäglichkeiten hinaus geht, so dass jeder Film für sich allein, außerhalb der Reihe stehen kann. Ich hoffe, dass man das auch spürt.
Gibt es eigentlich zwischen Ihrem „Tatort“ und „Sardanapal“ noch andere Berührungspunkte?
Die Figur des Felix Voss ist ein Melancholiker. Ein Melancholiker hätte die Welt, in die er ungefragt hineingeboren wurde, gerne anders. In Momenten spürt er, was das Leben sein könnte, aber dann verschwindet das wieder. So ist er von einer schmerzhaften Sehnsucht erfüllt, weil er im Leben etwas sucht, was in der Wirklichkeit nicht zu finden ist. Aber Felix Voss ist dabei nicht depressiv, er funktioniert, er arbeitet und kann auch lustig sein. Der Held in Byrons „Sardanapal“ ist ähnlich. Er versucht den Sprung zu diesem intensiven Leben zu schaffen. Aber wie heißt es bei Adorno: „Das meiste Leben lebt nicht“. Jedenfalls nicht, wenn man im Supermarkt an der Kasse steht. Doch die Suche wird nie aufhören.
Wann leben Sie, wann durchbrechen Sie die Melancholie?
Mit der Familie, mit meinen Kindern, in der Kunst, wenn ich einen besonderen Moment vor der Kamera oder im Theater erlebe. Dann spüre ich, dass ich lebe und mit anderen Menschen und mit der Welt verbunden bin. Aber Verbundenheit von Dauer gibt es nur in der Familie und manchmal in Freundschaften, woanders verschwinden Gefühl und Intensität eben auch wieder.