Aufgewühlt ist er, der Jürgen von der Lippe. Wegen der Künstlichen Intelligenz, also der ChatGPT, der in den letzten Wochen für Furore sorgte, weil Experten diese KI für so gefährlich halten wie einen Atomkrieg. Woran der Komiker allerdings weniger gedacht hat. Er hat den Chatbot eher als eine Art Orakel genutzt und gefragt, wie seine Vorstellung denn wohl beim Publikum ankommen werde. Die KI hat zwar die Antwort verweigert, aber aufgrund statistischer Werte errechnet, dass Standing Ovations im Bereich des Möglichen lägen.
Worte, bei denen der Kult-Comedian die Zuschauer eindringlich ins Visier nimmt. Aber eigentlich macht er sich keine großen Gedanken darum, ob das Auditorium in den Wühlmäusen nach seinem Auftritt frenetisch ausrastet oder nicht. Schließlich liest der charismatische Humorist aus seinem aktuellen Buch „Sex ist wie Mehl“. Jeder Satz eine Pointe. Kann also nichts schiefgehen.
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Gebrauchsanweisung gibt es vorab: Es wird nicht gegendert, weil „das grammatikalisch falsch, ideologisch begründet und diskriminierend ist“, erklärt Jürgen von der Lippe. Der Saal steht vor lauter Zustimmung fast Kopf. Kurz vor Standing Ovations. Das mit der Diskriminierung führt der 74-Jährige noch mal aus. Durch das Sternchen sei er gezwungen, eine Minderheit hervorzuheben. Dabei gebe es viele. Wie Brillenträger. Mit zwei Dritteln eine recht große Minderheit. Oder Rollstuhlfahrer und Gebissträger. Oder Phobiker mit verschiedene Arten von Phobien. Wie gegen die Schwiegermutter oder leere Biergläser.
Er wolle niemanden benachteiligen, sagt von der Lippe. Freundlich im Ton, inhaltlich politisch unkorrekt. Und stets voller Wortwitz. Wie es sich für einen Satiriker gehört. Dabei ist von der Lippe thematisch äußerst breit aufgestellt. Balanciert zudem ausgewogen zwischen bildungsbürgerlichem Anspruch und gezielten Schlüpfrigkeiten unterhalb der Gürtellinie. Irgendwo zwischen Theodor Fontane und Sekunden-Gags wie „Haben Sie mit meiner Frau geschlafen? Nein? Sollten Sie aber. Ist besser als Ihre!“
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Manchmal träumt er auch einfach nur von früher. Damals, als er über das Raum-Zeit-Kontinuum referierte und eine Frau rief: „Ich will ein Kind von dir!“ Was praktisch dauernd vorkam. Und er antwortete: „Sie wollen wirklich ein Kind, das aussieht wie ich? Bauch, Brille, Hawaiihemd. Und dann ist es auch noch ein Mädchen!“ Vielleicht ganz gut, dass die alten Damen heute nur noch „Lauter!“ rufen.
Bei den zahlreichen Abschweifungen des Star-Komödianten sind die Grenzen zwischen Lesung und Comedy-Programm fließend. Etwa, wenn er sich als Fundamental-Feminist outet. Im Gegensatz zu Goethe, wie er anmerkt. Nie würde er sich dessen Deflorationsmetaphorik wie „Heideröschen“ bemächtigen. Dafür hofft er auf eine Päpstin mit einem Händchen für Mode, die Abschaffung des Zölibats mit allem, was dazugehört. Er weiß, dass Beichten dann drastisch verlängert werden müssten. Frauen fragen eben anders. Für diese Erkenntnis gibt es in jedem Fall Standing Ovations.
Wühlmäuse, Pommernallee 2-4, Charlottenburg, Tel. 30 67 30 11, 31.5.-4.6., 6.-11.6. um 20 Uhr (ausverkauft)