Ausstellung

Hannah Höch und die hybriden Wesen ihrer Fantasiewelt

| Lesedauer: 3 Minuten
Utta Raifer
Hannah Höch im Atelier, 1975

Hannah Höch im Atelier, 1975

Foto: Stadtmuseum Berlin, Foto: Manfred Hamm

Die Sammlung Scharf-Gerstenberg untersucht das Menschenbild des Surrealismus – auch mit spannenden Neuerwerbungen.

Ein Fuchs mit Flügeln und einem langen Rumpf wie ein Dackel fliegt über einen See. Ein Spatz steht breitbeinig da und klimpert wechselseitig mit sehr langen Wimpern. Aus einer Gans steigt ein weißes Gespenst. Ein Seepferdchen spannt die Flügel und lässt seinen Schwanz wie einen Propeller rotieren. Und ein Reiher ohne Körper pickt an einem Tigerauge. Dazwischen Fledermäuse mit riesigen Köpfen, eine lachsrote Spur aus Pünktchen und Blümchen, lose und geflügelte Köpfe, eine versunkene Teufelsmaske.

„Der Geschöpfe sind viele zwischen Himmel und Erde“ kann man da Hannah Höch nur beipflichten. Zugleich ist das der Titel diese Bildes auf blauem Karton von 1930, eine Neuerwerbung der Stiftung Scharf-Gerstenberg über das Auktionshaus Grisebach.

Hannah Höch passt bestens in die Sammlung Scharf-Gerstenberg

In Berlin ist Hannah Höch vor allem mit ihren Collagen als Dada-Künstlerin bekannt. Ihr ikonischer Bubikopf wurde zum Symbol für ein neues Frauenbild nach dem Ersten Weltkrieg. Aber sie hat sich zeitlebens (1889-1979) einer Einordnung verweigert und ihre Sicht auf die Welt aus verschiedenen Perspektiven gespeist. Als dieses Bild entstand, lebte sie mit einer Frau zusammen, was ihren männlichen Dada-Kollegen eher nicht passte. Die berühmte Collage „Dompteuse“ aus dieser Zeit zeigt einen zarten Frauenkopf mit muskulös-verschränkten Männerarmen in einem schmalen, engen Rock. 1930 waren die Traumata des Krieges noch nicht verheilt und mit den Reichstagswahlen vom September, bei denen die NSDAP zur stärksten Partei wurde, drohte neues Unheil. Ein Ausweg aus Dada war der Surrealismus, eine Abkehr vom Verstand hin zum Traumhaften und Unbewussten.

Hannah Höch nimmt viel aus der Dada-Collage in ihre Malerei mit: Sie zerschneidet die Dinge, hier sind es Tiere, und setzt sie wieder neu zusammen, sodass eine Fantasiewelt mit hybriden Wesen entsteht. Damit passt sie natürlich bestens in die Sammlung Scharf-Gerstenberg, die sich dem Fantastischen oder wie die Sammlungsleiterin Kyllikki Zacharias sagt, der dunklen Seite des Surrealismus verschrieben hat.

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Höchs Traum aber ist zunächst hell, pastellfarben, grau, blau, rosa, grünbraun und weiß. Die verschiedenen Sphären, Wasser, Himmel und Erde sind nicht eindeutig auseinander zu halten. Vom oberen Bildrand fällt ein blauer Himmelsbogen, der auf dem Kopf steht und in dem fröhlich ein Waal schwimmt. Und was wie ein Streifen Land aussieht, könnte auch die Ursuppe sein, aus der sich die ersten Lebewesen entwickelten. Hannah Höch war auch sehr an Wissenschaft interessiert, an Physik und der damals neuen Theorie von der Raumzeitkrümmung. Hier schöpft sie also Wesen in surrealistischer Zufallstechnik und krümmt den mit Wasser vereinten Himmel in die Erde.

Sammlung Scharf-Gerstenberg: Der Körper im Surrealismus

Das Bild ist Auftakt und Motto der Sommerschau der Sammlung Scharf-Gerstenberg, in deren Rahmen weitere Neuerwerbungen präsentiert werden: Die zarten Grafiken mit den vielen Augen der Berliner Surrealistin Unica Zürn (1916-1970), zwei Werke der zeitgenössischen kurdischen Künstlerin Fatoş İrwen, die eine auffällige Nähe zu Hannah Höch aufweisen und eine Schenkung mit 30 Werken aus dem Nachlass des Luzerner Künstlers Max von Moos (1903-1979). Zusammen mit Bestandswerken spürt die Schau den Körperbildern des Surrealismus nach.