Was, wenn man ein Kunstwerk einmal nicht als monolithisches Meisterstück für Wand oder Vitrine verstünde, sondern als Notiz? Als kurzfristig festgehaltene Erinnerungsstütze, als Zwischenstand und für die Zukunft gedachte Arbeitsgrundlage? Man würde sich wohl schnell spannende Fragen stellen, zur Aura des Objekts auf der einen Seite und zur Geringschätzung des vermeintlich Flüchtigen auf der anderen. In der Ausstellung „notes from below“ in der Acud Galerie hat die südafrikanische Kuratorin Bhavisha Panchia vier Positionen der Gegenwartskunst versammelt, für die Vorläufigkeit kein Makel, sondern programmatisch ist. Alle hier ausgestellten Künstlerinnen und Künstler senden Lebenszeichen aus aktuellen, aufwendigen Rechercheprojekten, in denen es um den interkulturellen Transfer von Traditionen, von sozialem und technologischem Wissen geht.
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Damit ist natürlich auch das Verhältnis der wohlhabenden Industrieländer zum globalen Süden berührt, wie sich etwa in den Arbeiten des Schweizer Klang- und Installationskünstlers Gilles Aubry zeigt. Aubry hat viele Jahre mit Recherchen an der marokkanischen Atlantikküste verbracht, mit besonderen Augenmerk auf die dort industriell angebauten und im großen Maßstab geernteten Rotalgen. Aus ihren Zellwänden wird das Polymer Agar gewonnen, das etwa zur Aufzucht von Bakterien in Petrischalen gebraucht wird und auf dem Weltmarkt reißenden Absatz findet. Was das für das Arbeitsleben, die Umweltverschmutzung, auch für die akustische Realität des Landes konkret bedeutet, dokumentiert Aubry in Videofilmen, in denen etwa Arbeiterinnen in Alltagsgesprächen zu Wort kommen oder man ihnen beim Kochen von geliertem Konfekt zusehen kann. Aubry hat aus Kupfer, Agar und Stoffen Skulpturen mit vielfältigen Bezügen zum Thema gefertigt, die er selbst als Arbeitsnotate verstanden wissen will. In der Stoffbahn der Installation „Quantized Sea“ etwa mag man den Wellenschlag der Meeresoberfläche genauso erkennen wie die Bewegungsbahnen darauf herumtreibenden Abfalls.
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Die in Frankreich geborene und in Marokko lebende Künstlerin Sara Ouhaddou interessiert sich für das mit nordafrikanischer Keramikmalerei weitergegebene Wissen und arrangiert die dort vorgefundenen Pinselstriche auf großflächigen Drucken neu. Die rätselhaft schönen, hieroglyphenhaft wirkenden Arbeiten laden zur Entzifferung ein und wehren sie zugleich ab – und stellen damit die Frage nach den Voraussetzungen des Blicks, der auf sie gerichtet ist.
Keli Safia Maksud, eine interdisziplinär arbeitende Künstlerin mit Wurzeln in Kenia, Tansania und Kanada, beschäftigt sich in ihren bestickten Objekten mit der Geschichte musikalischer Notation, hier im Hinblick auf die Nationalhymnen selbstständig gewordener Staaten in Afrika. Und die aus Südafrika stammende Simnikiwe Buhlungu entwickelt ihre Kunst aus dem während des Apartheid-Regimes publizierten 560-Seiten-Buchs „The People’s workbook“, das schwarzen Menschen in Südafrika das Überleben mit begrenzten Ressourcen lehren sollte.
Postkolonialismus:Im Schatten der Geschichte – Daniel Boyd im Gropius Bau
Es ist eine kleine, aber hochinteressant in die drängenden Probleme der postkolonialen Debatte zielende Ausstellung, die am Sonnabend mit einem begleitenden Musik- und Diskursprogamm im Acud Club eröffnet wird (ab 18 Uhr), darunter eine Live-Performance von Lila Tirando A Violeta und ein DJ-Set von Abadir.