Das Kupferstichkabinett zeigt in der großartigen Schau „Dürer für Berlin“ 130 Handzeichnungen und Druckgraphiken aus seiner Sammlung.

Es ist schummrig im Kupferstichkabinett, für die Ausstellung „Dürer für Berlin“ ist das Licht heruntergedimmt. Es versteht sich, dass die meisten der 130 fragilen, kostbaren Kunstwerke geschützt werden müssen. Albrecht Dürer, der aus Nürnberg stammende Maler und Grafiker, war in der deutschen Renaissance das, was später Johann Sebastian Bach für die barocke Kunstmusik oder Richard Wagner für die bürgerliche Oper wurden: Es sind Künstlergenies, an denen sich nachfolgende Künstlergenerationen bis heute reiben müssen.

Die Berliner Reibungen in der Dürer-Geschichte finden sich gleich zu Beginn der Ausstellung, wenn man vor Christian Daniel Rauchs Porträtbüste von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1838 steht. Gleich daneben hängt Karl Friedrich Schinkels „Madonna auf der Mondsichel“ um 1814/15 nach Dürers Titelblatt zum Marienleben. Es ist unverkennbar Schinkel, aber daneben hängt Dürers Original (um 1511). Beide Werke sind sich verblüffend nah und fern.

Dürer ist wie Bach oder Wagner ein deutscher Nationalkünstler mit Weltgeltung. Aber eine Ausstellung in der heutigen Zeit bezieht auch andere Sichtweisen mit ein. Dagmar Korbacher, Direktorin des Kupferstichkabinetts, wies beim Rundgang darauf hin, dass Albrecht Dürer zwar Nationalkünstler ist, zugleich aber ein Einwandererkind war. Vater Dürer stammte aus dem ungarischen Dorf Ajtós, was Tür heißt. Aus dem nach Nürnberg eingewanderten Goldschmied Türer wurde in der fränkischen Aussprache schließlich der Dürer.

130 Handzeichnungen und Druckgraphiken von Albrecht Dürer sind im Kupferstichkabinett ausgestellt.
130 Handzeichnungen und Druckgraphiken von Albrecht Dürer sind im Kupferstichkabinett ausgestellt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Der Dürer-Kult des 19. Jahrhunderts hatte immer auch politische Dimensionen. Nachdem Preußen aus den Kriegen gegen Napoleon gestärkt hervorging, wurde der Ruf nach nationaler Einheit laut. Dürer als großer deutscher Künstler sollte eine nationale Identifikationsfigur werden. In Berlin, dem neuen kulturellen Zentrum, begannen die preußischen Museumsgründungen. Dürers Werke wurden ein wichtiges Sammlungsziel.

Kurator Michael Roth zeichnet die 200-jährige Sammlungsgeschichte nach

Der farbige und rätselhafte Kupferstich „Melencolia I“ von 1514 gehört zu den Überraschungen der Dürer-Schau.
Der farbige und rätselhafte Kupferstich „Melencolia I“ von 1514 gehört zu den Überraschungen der Dürer-Schau. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Heute besitzt das Berliner Kupferstichkabinett eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen von Handzeichnungen und Druckgraphiken Albrecht Dürers. Die rund 200-jährige Entwicklung der Sammlungen hat Kurator Michael Roth in den Mittelpunkt der Schau gestellt. Sie führt von den Anfängen des Kupferstichkabinetts 1831 und der Reichsgründung 1871 über die Gründerzeit und die Jahre des Nationalsozialismus bis zur kriegsbedingten Teilung der Bestände und ihrer Wiedervereinigung im Kulturforum 1994. Bis zum 27. August zeigt das Kabinett einmal, was es an Kostbarkeiten im Bestand hat.

Überwältigend geht es los. Die beiden 1512-18 entstandenen, meterhohen Holzschnitte „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.“ gehören mit 195 Druckstöcken zu den imposantesten Ausstellungsstücken. Es ist der größte jemals hergestellte Riesenholzschnitt. Die fröhliche Farbigkeit in der Sammlung Nagler verwirrt zunächst bei einem Künstler, den wir in Schwarz-Weiß verorten.

Nagler besaß eine auffällige Gruppe von 72 handkolorierten Kupferstichen. Neuere materialtechnische Untersuchungen haben ergeben, dass erst im 19. Jahrhundert diese effektvolle Nachfärbung erfolgte. In dem Zeitgeist ist auch ein farbiger Kupferstich „Melencolia I“ von 1514 erhalten. Das ebenso berühmte wie rätselhafte Meisterwerk in Ultramarinblau ist auch als „Bild der Bilder“ bekannt. Das Kupferstichkabinett besitzt vier weitere, unkolorierte Blätter davon.

Zu einem Ankauf gehörte das berühmte Werk „Barbara Dürer, geb. Holper“, in dem der Künstler 1514 seine schwerkranke Mutter festhielt. „Das ist Albrecht Dürers Mutter die war 63 Jahre“, vermerkte der Künstler am Rand. Die Kohle-Zeichnung nennt Museumschefin Korbacher „unsere Mona Lisa“. Es ist ein empathisches Bildnis. Das „Abschiedsblatt“ steht für Dürers Verständnis der Porträtkunst: „Auch erhält das Gemälde die Gestalt der Menschen nach ihrem Sterben.“

Die 1512-18 entstandenen, meterhohen Holzschnitte „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.“ gehören mit 195 Druckstöcken zu den imposantesten Ausstellungsstücken. Es ist der größte jemals hergestellte Riesenholzschnitt.
Die 1512-18 entstandenen, meterhohen Holzschnitte „Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I.“ gehören mit 195 Druckstöcken zu den imposantesten Ausstellungsstücken. Es ist der größte jemals hergestellte Riesenholzschnitt. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Kohlezeichnung ist auch eine Schnittstelle in die Moderne, in einem Fall war es eine soziale Reibung. Grafikdesigner und Karikaturist Klaus Staeck konfrontierte die Nürnberger Öffentlichkeit zum 500. Geburtstag Dürers 1971 mit einem sozialkritischen Plakat und der Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ Barbara Dürer, die im Haushalt des Sohnes lebte, starb im Mai 1514. Das Porträt blieb im behüteten Privatbesitz von Albrecht Dürer.

In der Ausstellung geht es auch um den „Dürer-Skandal“ 1871. Zum 400. Geburtstag war eine Bildpublikation mit etwa 70 Zeichnungen aus dem Berliner Kupferstichkabinett vorgestellt worden. Ein Wiener Fachmann entlarvte moderne Fälschungen. Ein Streit entbrannte, wobei das Kupferstichkabinett einen Großteil seiner „Dürer-Bilder“ verlor. Sie gelten heute als Werke des Augsburger Renaissancekünstlers Hans Schwarz. Auch sie finden sich jetzt in der Ausstellung.

Kupferstichkabinett im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Tiergarten. Bis 27. August