Frauen als Täterinnen, Opfer oder beides: Uršulė Barto inszeniert Alice Birchs Versuchsanordnung am Berliner Ensemble.
Mit „[Blank]“ (Leerstelle) der britischen Autorin Alice Birch in der Regie von Uršulė Barto hatte die Nachwuchsförderreihe „Worx“, in deren Rahmen seit dieser Spielzeit am Berliner Ensemble junge Regisseurinnen innerhalb eines Jahres zwei Inszenierungen am BE erarbeiten können und während dieser Zeit dort fest engagiert sind, ihre letzte Premiere der Saison.
Alice Birch ist eine erfolgreiche Drehbuchautorin für Filme und Fernsehserien und hatte sich zuvor bereits als Dramatikerin auch in Deutschland einen Namen gemacht. Seit 2015 wurden ihre Stücke mit fast jährlich wiederkehrender Regelmäßigkeit von Katie Mitchell uraufgeführt, so „Ophelias Zimmer“ oder „Schatten“ nach Jelinek in der Berliner Schaubühne.
Ihr Stück „[Blank]“, das nun im Werkraum Premiere hatte, stammt aus dem Jahr 2018 und erlebte im vergangenen Jahr in Karlsruhe seine deutsche Erstaufführung. Ungekürzt ist es eine Ansammlung von 100 Szenen auf 400 Seiten, aus der Ausschnitte und ihre Besetzungen frei gewählt werden können, ähnlich dem letzten großen Stück „3.31.93“ des schwedischen Dramatikers Lars Norén, der in 93 Szenen auf 298 Seiten 25 Personen in ihrem Leiden, Scheitern und Weiterversuchen zeigt. Auch „[Blank]“ widmet sich den Scheiternden in der Gesellschaft, denjenigen, die Gewalt erfahren, ausüben, weitergeben.
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![Wer liegt am Boden, über wen wird gelacht? Szene aus „[Blank] Wer liegt am Boden, über wen wird gelacht? Szene aus „[Blank]](https://img.sparknews.funkemedien.de/238375053/238375053_1683799876_v16_9_1200.jpeg)
Die junge Regisseurin Uršulė Barto hat für ihre zweite „Worx“-Arbeit zehn Szenen gewählt. Darin sind meist Frauen die Täterinnen, die Opfer oder, wenn Recht und Moral zusammenkommen: beides. Das Ensemble aus Nico Holonics, Bettina Hoppe, Maeve Metelka und Tilo Nest springt von Szene zu Szene, wechselt Rolle, Milieu, Schicksal, oft sind viele Figuren zu einer gebündelt.
Anders als bei Norén verfügen Birchs Figuren jedoch nicht über jene Flughöhe, die ihnen erlaubte, ihren privaten Schicksalsbeuteleien Allgemeingültigkeit zu verleihen. Sie erheben keine Klage ans Leben, ans prinzipiell nicht Gelungene, Ungerechte, Brutale, nie Verständliche, das ihm innewohnt. Sie erheben Anklage an die Gesellschaft und an sie die Forderung, diese Ungerechtigkeiten fürderhin zu unterlassen. Doch die hört einfach nicht.
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Wo die Gesellschaft dem Schicksal den Rang abgelaufen hat, hilft die Groteske, das zeigen Stücke wie die Yasmina Rezas – und, dass darin Trost steckt. Doch auch dazu kann sich „[Blank]“ nicht durchringen. Es bleibt illusionslos, trist, voll kokainbepudertem Hochmut und Heroinelend, Mord, Totschlag, Kindesmissbrauch und dem erstaunlichen Widerspruch zwischen infrage gestelltem Universalismus und der Forderung nach Empathie. Da hat es eine gewisse Konsequenz, wenn Bartos Regie oft nicht klar macht, ob sich die Spieler über die gesellschaftliche Gesamtsituation oder über ihre Figuren lustig machen. Einfühlung ist so schwer möglich, das Publikum bleibt außen vor. Und wenn wir doch mal lachen, lachen wir nicht mit der Figur, weil wir es kennen, das Scheitern. Das wäre tröstlich. Wir lachen über sie, weil es uns fremd bleibt, ihr Scheitern. Das ist tragisch.
Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Termine: 17.6., 5.7., 6.7., jeweils 20.15 Uhr.