Seit 2018 ist der Superstar auf seiner letzten Tournee. Nun macht er noch einmal in Berlin Station. Wie wird die Show?
„Farewell Yellow Brick Road“ heißt Elton Johns Abschiedstournee so anspielungsreich wie wehmütig. In Lyman Frank Baums Erzählung „Der Zauberer von Oz“, 1900 erschienen, vielfach fortgesetzt und schließlich 1939 mit Judy Garland legendär verfilmt, gibt es eine gelbe Backsteinstraße, auf der Heldin Dorothy mit ihren Weggefährten in Richtung Smaragdstadt unterwegs ist. Ein Motiv, das Elton John 1973 zusammen mit Bernie Taupin zur Ballade „Goodbye Yellow Brick Road“ inspirierte, die dann wiederum Elton Johns siebtem Studioalbum den Titel geben sollte. Im Text reflektierte Taupin die eigene Kindheit auf einer Farm im englischen Lincolnshire und sprach von der Sehnsucht, dorthin zurückzukehren – das Ergebnis war der vielleicht melancholischste und schönste Song, den man von Elton John bis heute kennt.
Erst kam die Pandemie dazwischen, dann eine Hüftoperation
Insofern ist er als Überschrift für eine Tournee, mit der einer der größten Superstars der Musikgeschichte von den Bühnen dieser Welt abtritt, sicher eine gute Wahl. Noch präziser wäre allerdings „Farewell Yellow Brick Road – extra extended version“ gewesen, denn die reine Dauer dieser Abschiedstournee setzt Superlative. In Allentown (US-Bundesstaat Pennsylvania) hat Elton John mit ihr begonnen, das war im September 2018, vor stolzen dreieinhalb Jahren. 200 Konzerte der geplanten mehr als 350 konnte er bis zu seinem Auftritt in Sidney absolvieren, dann funkte ihm die Corona-Pandemie dazwischen. Und weil ein Unglück selten allein kommt, gab es dann auch noch einen Unfall.
Nach einem Sturz am Ende der Sommerpause 2021 klagte Elton John über „erhebliche Schmerzen und Unwohlsein in meiner Hüfte“ und musste dann im Fernsehinterview die erneute Verschiebung seiner Tournee bekannt geben: „Ich kann mich nicht seitwärts bewegen, ich kann nicht in ein Auto ein- und aussteigen. Die Entscheidung musste getroffen werden, weil ich nicht auf die Bühne gehen und weniger als 100 Prozent geben wollte.“ Nun, nach erfolgreich absolvierter Operation, unterzieht sich der inzwischen 76-Jährige wieder den enormen Strapazen des Tourneebetriebs – und kommt nach Auftritten in München und Hamburg nach Berlin, wo er am Montag, am Mittwoch und am Donnerstag das Publikum in der Mercedes-Benz Arena beehren wird. Für alle drei Termine sind auf den im Netz gängigen Online-Portalen noch Tickets erhältlich.
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Das ist, gemessen an den bisherigen Berichten von seinen Auftritten in Deutschland, einigermaßen erstaunlich. Denn gerade die eingefleischten Elton-John-Fans älteren Semesters dürften das Konzert für einen Pflichttermin halten. Zur bereits bekannten Setlist gehören hauptsächlich Songs aus den 1970er-Jahren – jener Zeit also, die Elton Johns Ruhm begründete. Der vielleicht bekannteste Musiktitel von damals, der 1972 erschienene „Crocodile Rock“, bildet Besuchern zufolge einen Höhepunkt der Show. „I remember when rock was young/me and Suzie had so much fun“: Auch hier die bei Elton John so häufig auftauchende Melancholie des Rückblicks, wenngleich von einem ohrwurmartig fröhlichen „La-lalalalala“-Refrain konterkariert. Der Song, der Elton Johns erster Nummer-1-Hit in den USA und in Kanada wurde, erzählt von einem seltsamen Tanz, der nicht mehr getanzt wird und von einer Liebe, die es nicht mehr gibt – darin Don McLeans nur kurz zuvor die Charts stürmendem Hit „American Pie“ vergleichbar, der mit Blick auf das Ende der Rock’n’Roll-Ära ähnlich wehmütig daherkam. Der anhaltende Erfolg des „Crocodile Rock“ ließ seine Urheber jedenfalls zwischenzeitlich mit ihm fremdeln – das sei doch nur eine Fingerübung gewesen damals, hieß es im Interview 1989, man wolle lieber mit anderen Werken in Erinnerung bleiben. Nun scheint Elton John seinen späten Frieden damit gemacht zu haben.
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Die weiteren Titel der Setlist legen das Mitführen eines größeren Taschentucharsenals nahe, so elegisch, beinah schwermütig geht es zu. Da ist mit „Sad Songs (Say So Much)“ ein Gruß aus den 1980er-Jahren – der 1984 auch von sich reden machte, weil der Sänger im zugehörigen Video teils ohne seine notorische Brille zu sehen war. Da ist der zwölf Jahre zuvor erschienene „Rocket Man“, produziert vom Briten Gus Dudgeon, der aus seiner Zusammenarbeit mit David Bowie für dessen „Space Oddity“ (1969) um die Marktgängigkeit des Weltraumthemas wusste, aber jeden Zusammenhang damit energisch bestritt. Und natürlich darf auch „Candle in the Wind“ nicht fehlen, die große, im Jahr 1973 noch auf Marilyn Monroe alias Norma Jean Baker gemünzte Hymne über den hohen Preis des Ruhms, die Elton John dann 1997 mit umgeschriebenem Text bei der Beerdigung von Diana, Princess of Wales, in der Abtei von Westminster anstimmte.
Die Tournee wird von viel Rückschau eingerahmt
Viel Rückblick also, viel Schmerz und nur wohldosierte Ausgelassenheit, so ein Abschied ist ja auch kein Vergnügen. Dazu passt das schon fast exzessiv retrospektive Begleitprogramm dieser Tournee: Bereits 2019 erschienen mit „Rocketman“ ein Film über Elton Johns Leben und mit „Ich“ seine Autobiografie. Im selben Jahr gab die britische Royal Mail, eine höchst seltene Ehre, 12 Briefmarken heraus, um ihn als einen der größten Musikkünstler aller Zeiten zu würdigen. Aber wer hätte einen solchen Rummel auch mehr verdient als dieser Wanderer auf einer gelben Backsteinstraße?