Vertreter der Chugach-Community aus Alaska sind in Berlin zu Gast, um Objekte ihres kulturellen Erbes zu untersuchen.

Der norwegische Seefahrer und Sammler Johan Adrian Jacobsen (1853-1947) ist vor allem als Organisator des „Völkerschau“ genannten Menschenzoos im Hamburger Tierpark Hagenbeck in die Geschichte eingegangen, für die er in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts Vertreter indigener Völker aus aller Welt, darunter Sioux und norwegische Lappländer, für Ausstellungszwecke nach Deutschland lotste. Weniger bekannt ist, dass Jacobsen auch im Auftrag des Königlichen Museums für Völkerkunde – des heutigen Ethnologischen Museums – als Sammler unterwegs war.

Vor rund 130 Jahren bereiste er in dieser Eigenschaft die Pazifik-Nordwestküste Kanadas und Alaskas. Es ging darum, Kulturzeugnisse für das Museum zu erwerben. Aus der Chugach-Region brachte Jacobsen insgesamt 482 Kulturgüter mit. Anhand seiner Aufzeichnungen konnte später nachgewiesen werden, dass er mitunter auf illegalem Wege in ihren Besitz gekommen war.

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Dies war auch bei neun Grabbeigaben der Fall, die sich seit den 1880er-Jahren in den Dahlemer Beständen befanden. In einer seit 2015 bestehenden Kooperation mit Angehörigen der Chugach Alaska Cooperation wurde festgestellt, dass die Masken, Figuren und Stäbe mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer Grabplünderung stammten. Der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), zu der die Staatlichen Museen zu Berlin gehören, entschloss sich zur Rückgabe, die am 16. Mai 2018 vollzogen wurde.

Aus dieser dringend gebotenen Restitution entwickelte sich eine Initiative mit dem Titel „Getting Our Stories Back“, in deren Rahmen sich Vertreter der Chugach in dieser Woche erneut in Berlin aufgehalten und Objekte aus dem Depot des Ethnologischen Museums inspiziert haben. Berlin verfügt derzeit über 482 Artefakte aus der Heimatregion der Chugach.

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In dem Projekt geht es zunächst darum, den Chugach die Möglichkeit zur Beschreibung und Interpretation der Gegenstände einzuräumen – und damit die nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgte Klassifikation der Objekte mit indigenem Wissen zu konfrontieren. Darüber hinaus soll auf dem Wege der umfangreichen Digitalisierung der Objekte – Schalen, Kanu-Modelle, Öllampen, Kunstgegenstände und Dinge des täglichen Bedarfs – den in Alaska lebenden Chugach die Möglichkeit gegeben werden, sich intensiv mit den Zeugnissen des eigenen kulturellen Erbes zu beschäftigen. „Digitale Kopien der Kulturgüter sowie die Geschichten und das Wissen, die durch das Projekt generiert werden, werden in die Datenbank der Chugachmiut Heritage Foundation überführt und dienen zukünftig als Grundlage für weitere lokale Bildungsprojekte“, teilten die Staatlichen Museen mit.

Und Restitution? John Johnson, Vizepräsident der kulturellen Ressourcen der Chugach Alaska Corporation, sagte bei der Präsentation im Depot des Ethnologischen Museums, er würde die Objekte am liebsten gleich in einen leeren Koffer packen und nach Hause mitnehmen. Doch dazu bedarf es nach entsprechendem Antrag nicht nur des Einverständnisses des SPK-Stiftungsrats zur Rückerstattung der in Staatsbesitz befindlichen Kulturgüter, sondern auch einer geeigneten Präsentationsfläche im Herkunftsgebiet. In Anchorage soll in naher Zukunft ein Museum entstehen, dass der vom Vergessen bedrohten Überlieferung der Chugach eine Bühne bietet.