Zu seinem 100. Geburtstag präsentiert die Galerie Georg Nothelfer Arbeiten des großen Informel-Künstlers K.R.H. Sonderborg.
Von Bewegung sprechen Physiker, vereinfacht ausgedrückt, wenn ein Körper seinen Ort wechselt. Für den Alltagsmenschen ist sie ein so selbstverständlicher Teil des Lebens, dass sie in der Regel unbeachtet bleibt – obwohl sie doch zugleich in dessen Wesen liegt, es vielleicht sogar bestimmt. „Oft sind es Zeichen, die nichts sind als Spur von Bewegung “, beschrieb K.R.H. Sonderberg seine eigenen Arbeiten, mit denen er zu einem der wichtigsten Vertreter der Kunstrichtung des Informel wurde – obwohl ihm die Einsortierung in Schubladen missfiel und sein Werk tatsächlich allzu grob vereinfacht. Es stimmt ja: Wer seine mal mit Scheibenwischern, mal mit Rakeln, Spachteln, Rasierklingen oder anderen Werkzeugen erschaffenen Gemälde betrachtet, diese wirbelsturmartigen Farbstrudel mit wilden Linien, Tropfen und diskreten Tupfern, der spürt unwillkürlich eine ungeheure Dynamik. Aber wahr ist auch, dass die vom Menschen geschaffene Welt des Gegenständlichen mit den Strukturen von Städten und Industrieanlagen immer wieder seinen Weg in Sonderborgs Bilder fand.
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Die Ausstellung in der Galerie Georg Nothelfer in der Corneliusstraße in Tiergarten bringt einen Künstler mit hochspannender, oft auch schwerer Biografie in Erinnerung. K.R.H. Sonderborg kam am 5. April 1923 als Kurt Rudolf Hoffmann in Dänemark zur Welt und sollte später seinen Herkunftsort als Künstlernamen wählen. Von Geburt an fehlte ihm die rechte Hand. Er war gerade 17 Jahre alt, als ihn die Gestapo im Konzentrationslager Fuhlsbüttel für drei Monate inhaftierte. Hoffmann, Sohn eines Jazzmusikers, hatte sich mit seiner Vorliebe für den Swing und seiner unverhohlenen Geringschätzung des militärischen Gleichschritts den Vorwurf des staatsabträglichen Verhaltens eingehandelt. Ein freier, unabhängiger, furchtloser Mensch, schon in jungen Jahren.
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Sein körperlicher Defekt ersparte ihm den Reichsarbeitsdienst und die Einberufung zur Wehrmacht. Nach einer kaufmännischen Ausbildung ging er für eine Hamburger Exportfirma in die Sowjetunion, um sich nach seiner Rückkehr der Kunst zuzuwenden. Er nahm Privatunterricht beim Maler, Grafiker und Kunsterzieher Ewald Becker-Carus, der in der Nachbarschaft lebte, und studierte an der Landeskunstschule Hamburg. Lieber als die Lektionen in der Akademie war ihm jedoch das Arbeiten unter freiem Himmel: der Hamburger Hafen mit seinen Kränen und Gerüsten, dessen komplexe Muster sich auch in vielen seiner Bilder wiederfinden. Oder die Gleise des Hauptbahnhofs, die sich bis zum Horizont erstreckenden Schienen.
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Bereits 1949 nahm Hoffmann an einer ersten Gruppenausstellung im Hamburger Kunstverein teil, ab 1951 nannte er sich K.R.H. Sonderborg. Kollegen des „Informel“ wie K.O. Götz, Emil Schumacher oder Hann Trier bildeten einen Bezugspunkt, aber Sonderborgs Weg blieb von einer immer wieder überraschenden, kraftvollen Individualität bestimmt. Die informelle Kunst, um die sich Galerist Georg Nothelfer ab den 1970er-Jahren in Berlin bleibend verdient machen sollte, lehnte die klassischen Kompositionsprinzipien der Malerei ebenso ab wie die geometrische Abstraktion.
Sonderborg, der regelmäßig Lebens- und Arbeitsmittelpunkt wechselte und bald in Berlin, bald in Chicago oder Paris malte, gestaltete den kreativen Prozess als Performance. Der Kunstkritiker Detlef Bluemler hat anschaulich beschrieben, wie nach langen Momenten der Kontemplation und des sorgfältigen Arrangements der Utensilien das Malen als körperliche Eruption begann, mit großer Energie und Geschwindigkeit, als deren Zeugnis dann das sorgfältig mit Ort und Entstehungszeit versehene Gemälde zurückblieb. Wer mag, kann hier eine Nähe zum ungestümen Gestus der „Action Paintings“ eines Jackson Pollock erkennen, von denen sich Sonderborgs Arbeiten jedoch sowohl stilistisch als auch technisch gravierend unterschieden. Es ist in der Kunst eben nie so leicht mit den Etiketten, so hilfreich sie auch erscheinen mögen.
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Der vielfach ausgezeichnete Sonderborg, seit 1984 auch Mitglied der Berliner Akademie der Künste und mit Ausstellungen in Paris, auf der Biennale von Venedig und São Paulo vertreten, starb 2008 in Hamburg. Sein Werk wurde in der Galerie Georg Nothelfer bereits mehrfach präsentiert und erlebt nun, im Jahr des 100. Geburtstags des Künstlers, seine Wiederkehr. Die Ausstellung verbindet seine Arbeiten durch eine auf den Wänden aufgetragene Linie, die organisch aus den Bildern zu entspringen scheint – bevor sie in sie zurückkehrt und Tänze, Stürme, Meditationen vollführt. Alles ist in Bewegung, immer und überall.
Galerie Georg Nothelfer, Corneliusstr. 3, Tiergarten. Bis 17. Juni.