Die Preise der Leipziger Buchmesse werden am Donnerstag vergeben. Die Nominierten der Belletristik im Überblick.

Heiß ersehnt ist die älteste Buchmesse nach drei Jahren Corona-Zwangspause zurückgekehrt und mit ihr der Reigen der Auszeichnungen. Bei der feierlichen Eröffnung am Mittwochabend im Gewandhaus wurde der mit 20.000 Euro dotierte Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung an die russische Lyrikerin Maria Stepanova vergeben, die derzeit Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin ist. Am Donnerstag steht nun die Bekanntgabe der weiteren Preisträgerinnen und -träger an, auch in der belletristischen Kategorie. Wir stellen die nominierten Romane vor.

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Joshua Groß: Prana Extrem. Matthes & Seitz, 301 S., 24 Euro.
Joshua Groß: Prana Extrem. Matthes & Seitz, 301 S., 24 Euro. © Matthes & SeitZ

Joshua Groß: Prana Extrem. Als der 1989 im fränkischen Grünsberg geborene Jo­shua Groß 2019 mit dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet wurde, lobte Jurorin Insa Wilke, die ihn bereits im Jahr zuvor zum Bachmann-Preis in Klagenfurt eingeladen hatte: „Er hat alles im Blick und schafft Texte, die witzig sind und immer ernst, die dichterisch denken und dabei ganz gegenwärtig bleiben.“ Diese Qualität zeichnet auch „Prana Extrem“ aus, einen Roman, der auf der Handlungsebene recht übersichtlich bleibt, dafür aber sprachlich, atmosphärisch und motivisch nur so funkelt. Erzähler Joshua und seine Partnerin Lisa halten sich in Innsbruck auf und lernen den 16-jährigen Skispringer Michael Stiening kennen, in dessen Wohngemeinschaft das Paar alsbald einzieht. Dort lernen sie auch noch Michaels Schwester Johanna und seine Großmutter Suzet kennen. Es ist ein Beisammensein unter den Bedingungen eines deutlich veränderten Klimas mit heißen Sommern in den Alpen und mutierten Libellen über den Gewässern – ein Ausflug in eine Welt, die gleichermaßen magisch wie bestürzenderweise als Zukunftsszenario realistisch erscheint.

Dinçer Güçyeter: Unser Deutschlandmärchen. Mikrotext, 216 S., 25 Euro.
Dinçer Güçyeter: Unser Deutschlandmärchen. Mikrotext, 216 S., 25 Euro. © Mikrotext

Dinçer Güçyeter: Unser Deutschlandmärchen. Dinçer Güçyeter, geboren 1979 im nordrhein-westfälischen Nettetal, kam auf verschlungenen Wegen zur Literatur. Nach einer Ausbildung zum Werkzeugmechaniker und einer vorübergehenden Tätigkeit als Gastronom gründete er den auf Lyrik spezialisierten Elif Verlag in seiner Heimatstadt, den er als Gabelstaplerfahrer in Teilzeit finanziert. Für seinen dort erschienenen Gedichtband „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“, der seine Fühler von Anatolien bis zum Niederrhein ausstreckte, erhielt er 2022 den Peter-Huchel-Preis. „Unser Deutschlandmärchen“, sein erster Roman, erzählt in mehreren Stimmen, Dialogen und Szenen vom Schicksal türkischer Griechen, vom Leben als Gastarbeiter in Deutschland – und gibt damit einer Generation Gehör, deren Biografien von der deutschsprachigen Literatur jahrzehntelang vernachlässigt wurden. Eine kraftvolle, vielschichtige und schöne Melodie postmigrantischen Erzählens ist hier zu hören, die neben der Literatur Emine Sevgi Özdamars, Fatma Aydemirs oder Behzad Karim Khanis ihren Platz behauptet.

Ulrike Draesner: Die Verwandelten. Penguin, 608 S., 26 Euro.
Ulrike Draesner: Die Verwandelten. Penguin, 608 S., 26 Euro. © Verlag | Verlag

Ulrike Draesner: Die Verwandelten. Ulrike Draesner geht als hochdekorierte Schriftstellerin in das Rennen um den Preis der Leipziger Buchmesse – unter den vielen Auszeichnungen zuletzt der mit 50.000 Euro dotierte Große Preis des Deutschen Literaturfonds (2021). Geboren 1962 in München, ist Draesner in der Lyrik, in der Prosa, auch immer wieder in der kreativen Kooperation mit der bildenden Kunst zu Hause. Ihr Roman „Die Verwandelten“ widmet sich auf komplexe Weise den durch die Generationen vererbten Folgen des Zweiten Weltkrieges und führt dabei, einen Zeitraum von 90 Jahren umfassend, in drei Länder. Was, wenn das eigene Selbstbild auf Lügen der Eltern beruht? Wie umgehen mit der Schuld, die sie auf sich geladen haben? Was folgt aus der Katastrophe eines Krieges für Kinder und Enkel? Um Fragen wie diese geht es in diesem vielstimmigen Roman.

Angela Steidele: Aufklärung. Ein Roman. Insel, 603 S., 25 Euro.
Angela Steidele: Aufklärung. Ein Roman. Insel, 603 S., 25 Euro. © Insel Verlag

Angela Steidele: Aufklärung. Wer sich mit Kultur- oder Ideengeschichte befasst, dürfte sie vor allem aus männlicher Per­spektive kennengelernt haben. Die 1968 in Bruchsal geborene Angela Steidele, in diesem Jahr bereits mit dem Klopstock-Preis für ihr literarisches Gesamtwerk ausgezeichnet, bietet mit diesem Roman den Gegenschnitt: Sie erzählt aus dem im Licht der Aufklärung erstrahlenden Leipzig des 18. Jahrhunderts – und zwar aus der Perspektive von Dorothea, der ältesten Tochter Johann Sebastian Bachs. Erfrischende Einblicke auf ein Zeitalter werden hier sichtbar, das ansonsten gern anhand von gottgleichen Herren dargelegt wird.

Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Suhrkamp, 528 S., 26 Euro.
Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Suhrkamp, 528 S., 26 Euro. © Suhrkamp

Clemens J. Setz: Monde vor der Landung. Clemens J. Setz, der Mann mit dem Blick für das scheinbar Abseitige, in dem das Wesentliche verzerrt sichtbar wird, erzählt in diesem Roman die reale Geschichte des ehemaligen Fliegerleutnants Peter Bender, der sich Ende der 1920er-Jahre der Hohlwelttheorie verschrieb, wonach die Menschheit nicht auf, sondern in einer Kugel lebt. Bender musste aufgrund seiner Ehe mit einer Jüdin die menschenverachtenden Repressionen der Nationalsozialisten erleiden. Clemens J. Setz, 1982 in der Steiermark geboren, wurde erst 2021 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.