Am Sonnabend feiert im Großen Haus des Berliner EnsemblesBertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ unter der Regie von Christina Tscharyiski Premiere. Ein Gutshofbesitzer, der seinem Knecht im Alkoholrausch große Versprechungen macht, um am nächsten Tag alles wieder vergessen zu haben: Was macht die 1948 in Zürich uraufgeführte Komödie heute noch interessant? Ein Gespräch mit Sascha Nathan, der die Titelrolle spielt.
Herr Nathan, was gefällt Ihnen am Stück und an der Inszenierung?
Das Stück ist großartig. Es ist irrsinnig dialektisch. Es ist witzig geschrieben und es wird viel gelacht. –Betrunken fühlt er sich der Arbeiterklasse zugehörig. Das Tolle ist, dass man aufzeigen kann, dass das System, in dem er lebt – der Kapitalismus – sich selbst zerstört. Im Grunde ist am Ende ohne jetzt zu spoilern – alles zerstört: Puntila hat seine Tochter verstoßen und ist einsam. Das ist es, wovor er am Anfang am meisten Angst hatte: einsam zu sein. Aber am Ende verlassen ihn alle und er liegt da in seiner Kotze, in Trümmern. Was mir an der Inszenierung so gefällt, ist die Setzung, die über das hinaus geht, was Brecht sagt. Nina Bruns, die auch mitspielt, hat mal eine tolle Frage gestellt: Wollen wir uns empören oder empowern? Brecht hat jetzt schon ein paar Jahre auf dem Buckel, er empört sich. Das System, der Kapitalismus hat sich aber dahingehend geändert, dass man jetzt eine Schraube mehr drehen kann. Das wollen wir auch versuchen. Wir wollen empowern. Und das ist gar nicht so einfach. Das Stück ist schließlich so geschrieben, wie es geschrieben ist. Da versuchen wir uns gerade zu justieren. Wir wollen nicht das Stück kaputt machen. Brecht war ja auch nicht doof – im Gegenteil: Das Stück ist sehr, sehr schlau geschrieben. Wir versuchen trotzdem es zu unserem zu machen und gucken, was wir heute damit erzählen und erreichen können.
Warum sollte man sich die Inszenierung ansehen?
Weil ich die Hauptperson Puntila spiele (lacht). Ich finde, man sollte immer ins Theater gehen. Dieses Stück erzählt etwas über Ausbeutung. Man denkt hinterher anders und mehr darüber nach. Es geht bei Brecht sehr viel um die Ausbeutung der Arbeiterklasse, tatsächlich aber auch schon um die Ausbeutung der Natur. Puntila rodet seine Wälder und fischt seine Seen leer. So kann das schon das Stück der Stunde sein. Man sollte es sich auf jeden Fall angucken, um hinterher zu sagen: Vielleicht gehe ich doch mal zum Volksentscheid, wenn einer ansteht.
Was macht Puntila als Charakter aus?
Die Wankelmütigkeit. Es ist toll, wie Puntila zwischen nüchtern und alkoholsüchtigem Menschen schwankt. Das ist herrlich zu spielen. Man hat wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde zwei Seiten. Ich spiele einen krassen Tyrannen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist er ein cooler Typ, mit dem man gerne abends was trinken geht, der eine Runde nach der anderen schmeißt. Am nächsten Morgen, wenn er nüchtern ist, droht er, dich rauszuschmeißen. Das macht den Charakter so spannend. In der ersten Szene sagt Puntila zum Beispiel, er habe ja so ein gutes Herz und wäre da so froh drüber. Er sieht sich selbst als guten Menschen – natürlich ist er da völlig besoffen. Nüchtern sagt er, er lasse sich nicht das Gut ruinieren und er bringe alle ins Zuchthaus. Betrunken gibt er seine Brieftasche weiter und nüchtern sagt er: „Wo ist meine Brieftasche? Du hast sie mir geklaut!“ Das ist sehr schön zu spielen.
Was hat Puntila mit Ihnen gemeinsam?
Ich bin sicher kein Ausbeuter und kein Kapitalist. Ich würde sagen: die Angst vor Einsamkeit. Das hört sich jetzt so hochtragend an, aber damit kann ich was anfangen. Das ist ein Motiv oder ein Motor. Auch das betrunkene Gedankengut, wenn er sagt, die Arbeiter sollten sich nicht so behandeln lassen. Puntila sagt zum Beispiel: „Wenn es nach mir ginge, tät ich alle Einnahmen vom Gut in eine Kasse, und wer vom Personal was braucht, nimmt heraus, denn ohne ihn wäre auch nichts drin.“ Das Absurde ist, dass es ja nach ihm geht. So etwas finde ich im Grunde eine gute Sache, aber Puntila eigentlich nicht, deswegen kann ich eigentlich nicht sagen, dass sich das deckt.
Was an der Rolle fällt Ihnen besonders schwer?
Es ist schon schwierig, beides voneinander abzusetzen. Gerade im Durchlauf, wenn ich die ganze Zeit zwischen nüchtern und betrunken sein hin und her wechsele.
Wie bereiten Sie sich auf die Rolle vor?
Sie meinen, ob ich am Abend vorher ordentlich tanke? (lacht) Nein, eigentlich geht es immer gleich los. Ich mache jetzt keine Traumreisen oder Yoga. Nur textlich müssen wir uns vorbereiten.
Haben Sie nach all den Jahren noch Lampenfieber?
Ja, klar! Es ist aber während der Vorstellung weniger. Ich bin lockerer geworden. Das tut der Sache gut, dann ist man freier. Aber bei Premieren bin ich immer noch wahnsinnig aufgeregt. Das ist einfach ein Gefühl wie Höhenangst oder Flugangst, so muss man sich das vorstellen. Mein Kollege hat mal gesagt, die Premiere sei die bestprobierte Vorstellung. Wir haben es acht Wochen probiert – was soll schon passieren? Aber man weiß es halt nicht; wie es ankommt und ob man gut durchkommt.
Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. 22. 4., 18 Uhr, 3.5., 19.30 Uhr, 4.5., 19.30 Uhr, 27.5., 19.30 Uhr, 28.5., 18 Uhr.