Philipp Hochmair gehört zu jenen Schauspielern, die scheinbar überall sind. Am Wiener Burgtheater und am Hamburger Thalia Theater gehörte er zum Ensemble, spielte in Zürich, Hannover, in Berlin an der Volksbühne und am Deutschen Theater („Don Karlos“ 2007 und „Der Prozess“ 2008). Lange tourte er mit seiner Glamrock-Performance „Jedermann reloaded“ durch die Lande, machte damit auch am Berliner Ensemble Station.
2018 übernahm er dann Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen, als Einspringer für den erkrankten Tobias Moretti. Muss man noch betonen, dass er auch in Film und Fernsehen keine Grenzen zu kennen scheint, in Krimiserien wie „Blind ermittelt“ und beim „Tatort“ ebenso Charakterstudien abliefert wie in Arthouse-Schmuckstücken („Kater“) und Filmmusicals („Ich war noch niemals in New York“?
Philipp Hochmair: Gleich an zwei Abenden hintereinander ganz allein auf der Bühne
Hochmair ist ein Verwandlungskünstler und Energiespieler, einer, vor dem man in einem Moment Angst kriegen kann, um sich im nächsten in ihn zu verlieben. Einer, den die Extreme reizen, die Sprachrhythmen – und offenbar auch das Solo-Spiel. Am Wochenende jedenfalls macht er am Renaissance Theater mit gleich zwei Arbeiten Station, in denen er allein auf der Bühne steht.
Am Samstag zeigt er Johann Wolfgang Goethes „Werther!“, am Sonntag Franz Kafkas „Amerika“. Beide Inszenierungen haben schon viele Jahre auf dem Buckel – und beide sind genial. „Werther!“ entstand 1997 am kleinen Gostner Hoftheater in Nürnberg als eine der ersten Arbeiten von Nicolas Stemann, heute Co-Intendant in Zürich und in Berlin lange als Regisseur am Deutschen Theater aktiv.
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„Werther!“ beginnt völlig unscheinbar, als Lesung aus dem gelben Reclamheftchen. Tisch, Stuhl, eine Projektionsfläche hinten, ein paar Requisiten und Hochmair, der sich in T-Shirt unterm Jackett allmählich in diesen Gefühlszerwühler und Selbstbemitleider verwandelt – mehr braucht es nicht, um Goethes jugendlichem Antihelden auf die Spur zu kommen.
Wenn Werther den Satz „Glücklich allein ist die Seele, die liebt“ ekstatisch ins Mikrofon spricht, wirft sich Hochmair vor der Kamera in die Rockstarpose, die hinter ihm erstarrt und die er durchaus bewundernd betrachtet. Später stellt er Lotte wortwörtlich aufs Podest, als Büste. So kann das gar nichts werden mit der Liebe auf Augenhöhe. Wie sich Werther von da aus in eine Ecke manövriert, aus der es kein Entkommen gibt, ist äußerst packend.
Zwei Erfolgsproduktionen, die schon viele Jahre auf dem Buckel haben
„Werther!“ läuft nun schon seit 26 Jahren, ein hohes Alter für eine Theaterinszenierung, erst recht eine derart jugendliche. Damals war die Handkamera der neueste Schrei, heute ginge es mit dem Handy schneller. Hochmair selbst ist mittlerweile 49 und aus dem Werther-Alter raus. Aber das ist ja das Schöne am Theater: Dass, wenn man nur die richtige Energie mitbringt, man die anderen glauben machen kann, man sei noch 20 oder schon 70, oder sehe ganz anders aus.
Auch die andere Rolle, mit der Hochmair gastiert, ist ja ein junger Mann. Und auch „Amerika“ hat schon etliche Jahre auf dem Buckel. Regisseur Bastian Kraft, seit Langem dem Deutschen Theater Berlin verbunden, inszenierte Franz Kafkas Romanfragment 2009 in der Nebenspielstätte des Hamburger Thalia Theaters. Die Inszenierung wurde zu seinem Durchbruch, erhielt Auszeichnungen und tourte. Warum?
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Bei Kafka (dessen Romanfragment auch als „Der Verschollene“ bekannt ist) wird Karl Roßmann in die USA geschickt, weil er mit dem Dienstmädchen ein Kind hat, trifft dort erst einen reichen Onkel, verliert dann aber mehr und mehr die Orientierung, wird abgezockt und ausgenutzt. Kraft steckt ihn in einen inwendig verspiegelten Glaskasten, der an eine Telefonzelle erinnert und in dem sich Roßmann mit einer Videokamera vervielfältigt. Eine schier endlose Welt einer anonymisierten, hierarchischen, menschenverachtenden Gesellschaft, in der Karl Roßmann vergeblich anzukommen versucht.
„Amerika“ ist ein Stationendrama, das auf der Stelle tritt, weil sich Karls Situation zwar Kapitel für Kapitel verschlechtert, aber im Prinzip nicht verändert. Er bleibt ein Ausgestoßener, der darüber staunt. Kraft hat die über 300 Seiten des Romanfragments auf 75 Minuten eingedampft, Kapitel zusammenfasst und teilweise neu überschrieben. Das lässt Raum für das Erzählen mit szenischen Mitteln.
„Amerika“: ein scharfer, intensiver Beitrag zu den Schattenseiten der Globalisierung
Nicht nur sein Spiegelbild, auch Hochmair selbst spaltet sich auf, spielt neben Roßmann auch alle anderen Charaktere, als wären sie Ausgeburten von Roßmanns Fantasie. Wenn Hochmair in die Zelle spricht, klingt die Übertragung hallig, leer, verloren; wenn er sich einer Ecke zuwendet, wird sein Ton dunkel und warm – einfache Effekte, die an ein Hörspiel erinnern.
Roßmann selbst scheitert in seinen Anpassungsbestrebungen mit großen Augen und naiver Stimme, trotz „Verantwortungsbewusstsein, Kundenorientierung, Teamfähigkeit, hoher Zahlenaffinität, Einsatzfreude, Selbstständigkeit und Belastbarkeit“, wie er aufzusagen weiß. Und stößt, medial erweitert durch Kamera und Spiegelreflexe, an die Grenzen seiner selbst. Ein scharfer, intensiver Beitrag zu den Schattenseiten der Globalisierung. Damals, bei der Premiere, wirkte das wie ein Kommentar zur Bankenkrise. Heute zeigt sich: Sie gelten immer.