Der in Alma-Ata geborene Andreas Schulz ist Pianist, Dirigent und Orchestergründer. Seine Neue Philharmonie stellt sich im Konzerthaus vor.

Auf den ersten Blick scheint es wagemutig zu sein, dass sich die Neue Philharmonie für ihr Sinfoniekonzert gleich den Großen Saal des Konzerthauses ausgewählt hat. Immerhin ist am Sonntag mit Webers „Freischütz“-Ouvertüre, Haydns Sinfonie Nr. 100 und Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ ein Programm angekündigt, das dem großen Publikum entgegen kommt. „Berlin ist für uns als neuartiges Orchester ein schwierigen Pflaster“, gibt Dirigent Andreas Schulz zu. „Wir wissen, dass wir Berlin mit seinen Spitzenorchestern nicht dauerhaft bereichern können, sondern besser den Umweg über ländliche Räume gehen. Dort gibt es einen immer größer gewordenen Bedarf.“ Aber Berlin sei seine Heimat, sagt der 40-Jährige, auch, weil er an der Eisler-Musikhochschule Klavier studiert hatte. „Es ist für uns wichtig, auch in Berlin tolle Highlights zu haben.“

Das Orchester verfügt über eine eigene Hochglanz-Broschüre, in der junge Musiker abgebildet sind und Fotos, die die Neue Philharmonie mit Andrea Bocelli in der Waldbühne oder mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Bürgerfest zeigen. Zweimal war das Orchester, das auch bei Großjubiläen am Brandenburger Tor spielte, im Schloss Bellevue dabei. Schulz hat eine einfache Erklärung dafür. „Wir sind flexibel, spontan, anpassungsfähig. Darin unterscheiden wir uns von vielen Orchestern.“ Flexibel heißt auch, alles selber organisieren zu können, was etablierten Subventionsorchestern schwerer fällt. „Aber Leute, die uns zum ersten Mal hören“, sagt Schulz, „sind immer überrascht, wie gut das Orchester ist. Obwohl in Berlin das Publikum verwöhnt ist.“

Andreas Schulz ist als Pianist, Dirigent, Orchestergründer und Geschäftsführer eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Es hängt wohl auch damit zusammen, dass er zeitlebens seine künstlerischen Träume durchkämpfen musste. Geboren wurde er 1982 in Alma-​Ata (Kasachstan). Als Kind verbrachte er sechs Jahre im südlich von Berlin gelegenen Wünsdorf, wo seinerzeit das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland angesiedelt war. Das war eine Sperrzone in der DDR. „Mein Vater war dort bei der russischen Armee als Musiker stationiert. Als ich zwölf Jahre alt war, sind wir wieder nach Russland zurückgegangen. Ich habe meine ersten Schuljahre in einer isolierten russischen Garnisonsstadt verbracht.“

Sein Vater, ein Russlanddeutscher, war Klarinettist im Militärorchester

Streng, aber liebevoll sei er erzogen worden, sagt er im Gespräch. Sein Vater, ein Russlanddeutscher, war Klarinettist. „Das Militärorchester hat natürlich meine Musikliebe geweckt“, erinnert sich Andreas Schulz. „Ich konnte früh viele Instrumente ausprobieren. Ich hatte meinen eigenen freien Stuhl neben meinem Vater im Probensaal.“ Er habe dann als Zehnjähriger mit Klavier begonnen. Dann zerfiel das Sowjetreich, die Familie siedelte kurzzeitig nach Kaliningrad. Bereits mit 13 Jahren kam Andreas Schulz als so genannter Spätaussiedler nach Deutschland zurück und begann erst einmal, die Sprache seiner Vorfahren zu lernen. „In Russland waren wir Deutsche“, sagt er, „als wir hierher kamen, galten wir als Russen.“ Er fühle sich als Deutscher, fügt der Dirigent hinzu, „aber ich liebe auch russische Musik.“

Nach dem Klavierstudium an der Eisler-Musikhochschule bekam er zwei Lehraufträge an Hochschulen in Weimar und Rostock. Aber er habe gemerkt, sagt Schulz, „dass etwas nicht ganz rund läuft. Als ich das erste Mal als Dirigent die Bühne betrat, wusste ich sofort, dass ich das ein Leben lang machen möchte. Als Pianist war ich immer sehr aufgeregt, beim Dirigieren hingegen empfinde ich eine riesige Vorfreude.“ Die Phase des Ausprobierens und der Projekte begann. „Aber alle sagten mir, es sei verrückt, ein Orchester zu gründen. Es gibt doch überall Orchester. Aber ich wollte mich ausprobieren, ich musste dirigieren.“

Die Neue Philharmonie ist aus einem anderen Orchesterprojekt hervorgegangen und gibt es jetzt seit 2016. „Der Gründungsgedanke war, junge professionelle Musiker in dieser oft schwierigen Phase zwischen Studium und festem Engagement aufzufangen. Bei uns sammeln Musiker Orchestererfahrungen.“ Natürlich gehe es auch ums Geldverdienen. „Wir spielen mittlerweile bis zu 50 Sinfoniekonzerte im Jahr, dazu kommen rund 300 Grundschulkonzerte. Letzteres ist die finanziell stützende Säule unserer Tätigkeit. Und es ist auch unser Alleinstellungsmerkmal.“

Die Neue Philharmonie hat Trägergesellschaften in den Bundesländern

Das Orchester hat einen Stamm von 35 Musikern, im Konzerthaus werden jetzt mehr als 50 mitspielen. „Unser Büro ist mittlerweile auf sieben festangestellte Mitarbeiter gewachsen, weil sich einige um Brandenburg, andere um Mecklenburg-Vorpommern kümmern“, sagt der Manager. Demnächst gibt es Aktivitäten in Baden-Württemberg. Der offizielle Sitz ist in Berlin, aber die Neue Philharmonie hat eigene Trägergesellschaften in den Bundesländern. „Kultur ist Ländersache, weshalb man will, dass wir in den Ländern angesiedelt sind.“

Der betriebsame Dirigent ist mit einer Musikerin verheiratet, beide erwarten gerade ihr erstes Kind. Zufälligerweise ist seine Frau unweit von Wünsdorf aufgewachsen, in einem Ort südlich von Berlin hat das Paar jetzt sein Zuhause gefunden. Wenn er manchmal an Wünsdorf vorbei fahre, sagt Schulz, dann habe er schon heimatliche Gefühle.

Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Mitte. Tel. 203092101 Am 23. April um 16 Uhr