Es sind Schlagzeilen, die England schockieren: Agatha Christie ist spurlos verschwunden. Die Zeitungen munkeln etwas von einem Suizid mit Bleigift. Was die Queen of Crime jedoch weit von sich weist. Sie würde in dem Fall Zyanid oder Arsen wählen. Viel effektiver. Aber sie hat andere Pläne. Untergetaucht im Hotel „Old Swan“ in Yorkshire unter dem Namen der Geliebten ihres Mannes, hofft sie darauf, ihren Archie zurückzugewinnen. Doch der hat sein Herz längst an seine Sekretärin Nancy verloren.
Es geht very british zu bei der Uraufführung des Musical-Krimis „Vermisst! Was geschah mit Agatha Christie?“ im Kleinen Theater. Die Wände funkeln Chintz-bezogen und man hört mehr als ein exaltiertes „Oh Dear“ in der Inszenierung nach eine wahren Begebenheit von 1926, als die Schriftstellerin elf Tage unauffindbar war. Worüber sogar die New York Times berichtete.
Regisseur James Edward Lyons hat das Stück mit Paul Graham Brown ersonnen, der auch für die Musik verantwortlich zeichnet. Der Mix aus Krimi, Liebesgeschichte und Musical ist vor allem humorig und gefällig. Mindestens so cosy wie viele beliebte Krimis von der Insel. Aber schließlich gehören Christies berühmteste Helden, die schrullige Miss Marple und der clevere Hercule Poirot, ja auch zu den ersten und vorzüglichsten Vertretern dieser Crime-Spielart.
Immer wieder gibt es Anspielungen auf Werke der britischen Krimiautorin
Der Bühnenplot zitiert gern Versatzstücke aus dem höchst umfangreichen Œuvre der Starautorin. Etwa, wenn Agatha Christie (Barbara Felsenstein) in einem verlassenen Hotelzimmer ein verdächtiges Einschussloch in der Wand findet. Zufällig entdeckt sie dort auch noch ihr rotes Tanzkleid, das John (Björn-Ole Blunck) versteckt hat. Schon fragt sich der ausgebuffte Krimi-Fan, ob der Gentleman wirklich romantische oder nicht doch eher mysteriöse Absichten hinsichtlich Agatha Christie hat.
Im Fokus steht aber deren Mission, Ehemann Archie (Holger Hauer) aus den Fängen von Nancy (Melanie Starkl) zu befreien. Was für reichlich Situationskomik sorgt. Etwa, wenn sich die Lage zwischen den Eheleuten und der Geliebten mit gleich zwei gezückten Pistolen dramatisch zuspitzt, den Figuren aber die Puste ausgeht, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. Dann wird der Ruf nach Christies Fabulierkunst groß. Die überlegt – und plötzlich stehen alle auf einem schwankenden Dampfer auf dem Nil und stöhnen ob der Hitze. Sogar Hercule Poirot lässt sich in der Szene in einen Cameo-Auftritt blicken.
Dazu wird gesungen, was das Zeug hält. Und zwar nicht nur Songs, sondern auch Rezitative. Was zuweilen leicht angestrengt wirkt und das Tempo aus der Handlung nimmt. Bei der weiß man irgendwann gar nicht mehr, was nun Realität und was Fiktion ist. Ein geschicktes Verwirrspiel. Im wahren Leben hat Agatha Christie ihr Verschwinden nie erwähnt. Zwei Ärzte diagnostizieren damals flugs einen Gedächtnisverlust. Was wohl auch daran lag, dass man überlegte, die immensen Kosten der Suchaktion auf die Schriftstellerin abzuwälzen. 1928 ließ sich Agatha Christie übrigens von ihrem Mann scheiden, der eine Woche später Nancy Neele heiratete.
Kleines Theater, Südwestkorso 64, Friedenau, Tel. 8212021 Termine: 16. und 19.4.; 5. bis 7.5.