Ein lesenswerter Sammelband versammelt weibliche Perspektiven auf den Alterungsprozess – fernab jeder Ratgeber-Prosa.

Vorerst sind es die Anderen. Sie, die Gebeugten mit ihren Rollatoren, wie sie hier und da das Stadtbild zieren. Sie kommen in Katja Oskamps sturztrockenem Essay „Alte Frauen mit Rädern“ nur in der Mehrzahl vor. Ein Gebrechlichkeitskollektiv. Damit hält die Schriftstellerin uns und sich selbst einen Spiegel vor: Von alten Frauen zu erzählen heißt, den eigenen Blick mitzuerzählen – und der ist, wenn wir ehrlich sind, gleichmacherisch. Oskamp aber schaut besonders genau hin: „Ich identifizierte Scham, Furcht, Entrüstung. In den schaurigsten Gesichtern stand ein bitterer Vorwurf wie eine Gravur. In den lustigsten hing eine schiefe Frage, die niemand mehr beantworten würde, ein für alle Mal fest“. Und die Erzählerin weiß: „Was da von dannen rollte, war meine Zukunft“.

Kein Brevier über das derzeit angesagte Thema Wechseljahre

Die Berlinerin Oskamp, Jahrgang 1970, ist das Küken innerhalb der Schar deutschsprachiger Schriftstellerinnen, die in „Wechselhafte Jahre“ übers Älterwerden schreiben. Die Herausgeberin, die Wiener Autorin Bettina Balàka, hat darin so unterschiedliche Schreibtemperamente wie Jahrgänge versammelt, dass eine unterhaltsame Vielfalt weiblichen Alterns als Motor autobiografischen und gesellschaftskritischen Denkens sichtbar wird.

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Die Schriftstellerin Barbara Frischmuth in ihrem Garten in Altaussee.
Die Schriftstellerin Barbara Frischmuth in ihrem Garten in Altaussee. © picture alliance / BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

Einen Ratgeber über das derzeit schwer angesagte Thema Wechseljahre sollte man eher nicht erwarten. Aber das Buch gewährt einen Einblick etwa in die Frage, was es bedeutet, speziell als Schriftstellerin älter zu werden. Es mag überraschen, dass den Mode- und Kampfbegriff „Diversität“ ausgerechnet die Zweitälteste aufgreift. Barbara Frischmuth, Jahrgang 1941, wundert sich, dass einer Frau in älteren Jahren kaum mehr zugetraut werde, divers zu schreiben. Der „puristische“ Literaturbetrieb verlangt Frischmuth zufolge, dass man als Autorin ja nicht von der „Marke“ abweicht, die man ist. Als sie angefangen habe, neben Romanen und Gedichten auch Gartenbücher zu schreiben, sei sie in der Branche plötzlich diejenige gewesen, die „doch nur noch Gartenbücher“ verfasse. Es ist wie so oft: Festschreibungen von außen verengen den Blick auf Möglichkeiten, auf Fülle.

Die Texte sind sortiert nach dem Alter der Verfasserinnen

Wirklich zu glauben, dass das Alter nicht zwingend ein defizitärer Zustand sein muss, dafür fehlt es gerade jüngeren Frauen oft an Rollenmodellen. Dabei gibt es sie. Als Älteste in der Runde geht da zum Beispiel die 1937 geborene Kinder- und Jugendbuchautorin Renate Welsh („Das Vamperl“, 1979) einem Wort nach, das ihr ein fremdes Kind in der U-Bahn sagt: „verwurlt“: Sie habe „ein ganz verwurltes Gesicht. Wie meine Oma. Aber die ist eh drei Tage schon tot“. Angestupst von diesem Wortfund, erzählt Welsh voller Witz von ihrem Schriftstellerinnenleben als immerwährendem Prozess, in dem sie auch eigene Vorurteile zu überwinden hatte.

Zwischen den Jahrgängen Oskamp und Welsh entfaltet sich ein oft schroffer, immer spannender Perspektiven- und Tonartenwechsel, mal persönlich, mal nüchtern reflektierend, mal essayistisch funkelnd. Balàka hat die Texte streng nach aufsteigendem Alter der Verfasserinnen angeordnet, und so entsteht ein dramaturgischer Bogen von Oskamps Blick in „meine Zukunft“ hin zu Texten, die eher Rückschau halten. Dabei verbreiten die Autorinnen keine krampfhaft heitere „Positivity“, es geht durchaus auch morbide zu. Scharf beschreibt Marlene Streeruwitz, Jahrgang 1950, in „Wir Betrogenen“ Prägungen, an denen auch die kanonische Literatur beteiligt sei: „Ich kenne die Menopause aus Thomas-Mann-Novellen“. Zu lesen, dass einem als Frau etwa abgesprochen werde, weiterhin Sex haben zu dürfen, sobald man keine Kinder mehr gebären könne, setzt bei ihr einen giftigen Identifikations- und zugleich Verdrängungsprozess in Gang: „Das wird alles später passieren. Und außerdem. Das wird mir alles nicht passieren. Ich würde elegant altern.“

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Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz.
Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. © picture alliance / dpa | Matthias Röder

Doch auch von diesem Druck gilt es sich zu befreien: noch möglichst lange schmackhaft zu wirken. Herausgeberin Balàka erinnert an Zeiten, in denen Flugbegleiterinnen der Austrian Airlines bis Ende der 1970er-Jahre nicht älter als 27 sein durften – „in der zarten Rücksichtnahme auf das Auge des männlichen Fluggastes“. Der sollte nicht „durch Falten, graue Haare und ähnliche Schrecknisse bei den Frauen, die ihm das damals noch üppige Menü servierten, um den Appetit gebracht werden“.

Bettina Balàka (Hg.): Wechselhafte Jahre – Schriftstellerinnen übers Älterwerden. Leykam, 192 S., 24 Euro.
Bettina Balàka (Hg.): Wechselhafte Jahre – Schriftstellerinnen übers Älterwerden. Leykam, 192 S., 24 Euro. © Leykam

Inzwischen hat sich zum Glück einiges getan, doch manches Wechseljahrs-Empowerment der Gegenwart erinnert noch an die neue Lebensmittelkennzeichnung „Oft länger gut“, die seit 2020 neben dem Mindesthaltbarkeitsdatum steht. Frauen sind kein Konsumartikel, aber andererseits stimmt es ja: Gegen Ignoranz hilft nur ein neues Bewusstsein, hier wie dort. Ulrike Draesner, geboren 1962, verlangt solche Aufklärung, einen „neuen Spiegel“, der Frauen aller Altersstufen und auch Männer mit ins Boot holt. „Beides gehört zusammen: Die hormonelle Umstellung ist ein spezifischer Fall innerhalb des dauerhaften Prozesses, den man Altern nennt.“

Das bessere Verständnis der biologischen Vorgänge ist nötig, aber dann, so wiederum Streeruwitz, möge man bitte wieder über anderes nachdenken: Es gehe darum, nicht erklären zu müssen, in welcher Lebensphase eine sich befinde. „Ich war mit zehn Jahren am klügsten, und mein ganzes Leben lang geht es darum, diesen Zustand wieder herzustellen. Hormone hin oder her.“

Die größte Stärke dieses lesenswerten Buches ist, dass es Raum für Fragen über das eigene Gewordensein und künftige Altern lässt, die sich jede(r) selbst stellen kann.