Vladimir Jurowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verknüpften Haydn mit sechs Uraufführungen aus Krisenländern in der Philharmonie.

Dieses Programm ist ein echter Vladimir Jurowski. Der 51-jährige Star-Dirigent hat für ein Konzert mit seinem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin sechs zeitgenössische Werke im stetigen Wechsel mit Sätzen aus Joseph Haydns Werk „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ kombiniert. Um das ganze programmatisch noch konkreter zu fassen, streute er zwischen die Musikstücke Texte von der DDR-Schriftstellerin Anna Seghers und dem ukrainischen Erzähler Serhij Zhadan ein. Als Rezitator konnte Jurowski den Kultursenator Klaus Lederer für das Konzert im Kammermusiksaal am Montag gewinnen.

Das berühmte Werk von Joseph Haydn, welches sich um die letzten Worte von Jesus Christus am Kreuz dreht, entstand 1785 ursprünglich als Passionsmusik für Orchester, in dieser Fassung erklang es auch am Montag in der Philharmonie; erst 1796 schuf Haydn die heute bekanntere Version als Oratorium. In sechs langsamen Sätzen und einem „Erdbeben“ werden darin die höchsten Nöte in Musik gesetzt, denen sich ein zu Tode gemarterter Mensch ausgesetzt fühlen kann.

Chefdirigent Vladimir Jurowski am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin im Kammermusiksaal der Philharmonie.
Chefdirigent Vladimir Jurowski am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin im Kammermusiksaal der Philharmonie. © Peter Meisel

Vladimir Jurowski hatte sechs Komponisten eingeladen, jeweils ein kurzes Orchesterstück zu schreiben, das sich auf die „Sieben letzten Worte“ bezieht. Zugleich künden die neuen Werke jetzt von den Nöten ihrer Verfasser. Denn alle stammen aus Ländern, in denen zurzeit Krieg oder schwere politische Krisen herrschen: Ukraine, Iran, Belarus und Russland. In allen sechs Fällen reflektieren die Komponisten ihre persönliche Betroffenheit, indem sie emotional berührend Position beziehen gegen Unrecht, Krieg und Gewalt.

Unterschiedliche Charaktere versammelt Haydns Musik auf engem Raum

Das tun sie auf sehr unterschiedliche Weise. „Music is coming“ von der ukrainischen Komponistin Victoria Poleva erinnert an die langsamen Sätze der Sinfonien von Gustav Mahler, während das scharf dissonante Stück „Consummatum est“ des russischen Komponisten Boris Filanovsky an die Musik von Arnold Schönberg oder Anton Webern denken lässt.

Noch-Kultursenator Klaus Lederer als Rezitator im Kammermusiksaal.
Noch-Kultursenator Klaus Lederer als Rezitator im Kammermusiksaal. © Peter Meisel

Um eine Verbindung zu diesen zeitgenössischen Kompositionen zu schaffen, profiliert Jurowski die dramatische Seite von Haydns Stück. Er zeigt ihn als Wegbereiter von Beethovens Schicksalswerken, scheut sich nicht auch nicht vor ruppigem Forte, legt allerdings auch viel Wert auf eine gute Phrasierung. An der Art und Weise, wie das RSB abphrasiert, könnten sich viele Dirigenten und Orchester ein Beispiel nehmen, ebenso an der kontrastreichen dynamischen Gestaltung, die zeigt, welch unterschiedliche Charaktere Haydns Musik auf engem Raum versammelt. Sehr überzeugend gelingen die Übergänge zwischen Haydns Sätzen und den modernen Stücken, etwa jener von „Sonata V: Sitio“ zum Werk „Sitio...Lacrimae“ des russischen Komponisten Anton Safronov, wo der Hörer plötzlich in einen wilden Pizzicato-Sturm der Streicher hineinkatapultiert wird.

Auch Klaus Lederer macht seine Sache als Rezitator gut. Auf angenehm unmanierierte Weise, ohne aufgesetzte Schauspieler-Attitüde, trägt er die erschütternden Texte aus Anna Seghers autobiografisch geprägter Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ vor, die er im Wechsel mit Gedichten um Krieg, Tod und Flucht des ukrainischen Erzählers Serhij Zhadan liest. Für dieses originelle und exzellent dargebotene Programm gab es zu Recht viel Applaus.