Deutsches Theater

Die Berlin-Revue des Jahres: „Forever Yin Forever Young“

| Lesedauer: 6 Minuten
Katrin Pauly
Die Welt ist ein Späti: Felix Goeser, Jörg Pose, Kotbong Yang, Ole Lagerpusch und Jürgen Kuttner (v. l.).

Die Welt ist ein Späti: Felix Goeser, Jörg Pose, Kotbong Yang, Ole Lagerpusch und Jürgen Kuttner (v. l.).

Foto: Arno DeclaiR / Arno Declair

Jürgen Kuttner und Tom Kühnel verneigen sich am Deutschen Theater vor dem grandiosen Melancholiker Funny van Dannen.

Berlin. Links vorm Späti, da sitzen schon ein paar auf der Biertischgarnitur vor ihren Kaltgetränken, dann kommt von rechts Jörg Pose vorbeigeschlendert, das Hemd ein bisschen zu weit, die Krawatte ein bisschen zu gemustert, und singt ins Mikro diese Zeilen: „Als ich noch jung war, hatte ich Träume / sie sind verflogen, wie das so geht / Ich wollte was werden, es ist nichts geworden / das lag zum Teil an der Realität“. Die Realität, die hält alle erdenklichen Tücken bereit, darauf hatte uns Felix Goeser mit dem Song „Schilddrüsenunterfunktion“ ja gerade auch schon hingewiesen.

Es werden an diesem Abend noch weitere Beweise geliefert werden. Die Texte und Songs für die von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel in den Kammerspielen des Deutschen Theaters auf die Bühne gebrachte Revue sind allesamt dem Werk des Liedermachers und Autors Funny van Dannen entnommen. Es gibt wenige, die die Ungereimtheiten des Lebens in so komisch-traurig-durchgeknallte Reime packen können wie er. Unter dem Titel „Forever Yin Forever Young“ haben Kühnel und Kuttner den Stoff, aus dem Funny van Dannens Lieder gemacht sind, jetzt auf die Theaterbühne gebracht. Man mag sich fragen, ob er da überhaupt hingehören, ins Deutsche Theater, neben die ganzen gewichtigen Stoffe, und kann sich getrost die Gegenfrage stellen, ja, warum denn nicht?

„Forever Yin, Forever Young“: Miniaturen vom Menschsein

Funny van Dannen beschreibt in seinen pointierten Texten, die oft harmloser daherkommen als sie in Wahrheit sind, den Menschen in seiner ganzen Unzulänglichkeit, in seinen Zweifeln, Niederlagen und auch dem stillen, manchmal absurden und unerwarteten Glück. Natürlich werden hier keine Figurenentwicklungen auf die Bühne gebracht, natürlich wird keine lineare große Geschichte erzählt, dafür aber so viele schöne Menschheitsminiaturen, aus denen Kühnel, Kuttner und das Ensemble mitsamt drei exzellenten Musikern einen herzerwärmenden Großstadt-Kosmos bauen. Ja, es ist eine Revue, und was für eine!

Neben Kuttner selbst sowie Maren Eggert, Felix Goeser, Ole Lagerpusch, Jörg Pose, Kotbong Yang und einer dreiköpfigen Band, steht auf der Bühne auch Berlin. Jo Schramm hat dafür eine tolle, variable Häuserzeile gebaut, mit bestuhltem Kopfsteinpflaster-Trottoir und mehrstöckigen Fassaden samt Markise, Balkon und noch allerlei weiteren liebevollen Details. Zunächst kommt das alles noch etwas farblos daher, doch bald wird mittels raffinierter Projektionen das Berlin unterschiedlicher Epochen lebendig. Wir sehen zum Beispiel das Schild des Friedrichshainer „Kino Intimes“, daneben den Späti, aus dem heraus Jürgen Kuttner als Besitzer die Anwesenden mit Getränken versorgt und wo Ole Lagerpusch sein hinreißend herzzerreißendes „Herzscheiße“ singt. Erst ganz alleine, dann stimmt vorsichtig die Gitarre ein, bis sich das Ganze zu einem fulminant lauten Verzweiflungsschrei hochschraubt und die Band alles auffährt, was sie zu bieten hat. Überhaupt, die Band: Lukas Fröhlich, Jan Stolterfoht und Matthias Trippner (musikalische Leitung), sie sind absolut fulminant, die Neuarrangements decken eine ungemeine Stilbreite ab, mal werden sie rockig laut, dann nur rhythmisch grundierend, mal halten sie sich mit wenigen Harmonien dezent im Hintergrund, dann drehen sie unvermittelt mit Karacho auf, immer wieder überraschend, immer überzeugend. Und allerbestens abgestimmt auf das Ensemble.

Funny van Dannen und das Nana-Mouskouri-Konzert

Nach der „Herzscheiße“ am Späti wird’s noch etwas privater, Jörg Pose und Maren Eggert geben auf dem Balkon ein Liebespaar, allerdings kommentiert Felix Goeser singend: „Er hat ihr so weh getan, er hat sie so verletzt / denn er sagte Homebanking als sie ihn fragte woran denkst du jetzt“. Überall nur Enttäuschungen, wir wechseln flott ins Berlin der 1920er-Jahre und damit mitten rein in die Weltwirtschaftskrisenjahre. Aus dem „Kino Intimes“ ist jetzt das „Eden Kabarett“ geworden, aus dem EC-Automaten hinten ein Strumpfautomat. Es geht um Kapitalismus bei Maren Eggert und Kotbong Yang auf der Showtreppe und vorne bei den Herren am Kaffeetisch um einen Umsturz, für den noch Mitstreiter gesucht werden.

Die Texte und Songs sind lose in thematische Blöcke gruppiert, Daniela Selig hat aufwändige und vielfach wechselnde Kostüme dafür kreiert. Nach der Pause gibt es einen kleinen Kunst-Exkurs, bei dem zu den Zeilen „Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert / Ich war auch da und du hast geweint“ direkt sechs Sängerinnen-Doubles mit der markanten schwarzen Brille auf der Bühne stehen. Herrlich! Danach geht es nahtlos weiter mit ein bisschen Deutschland-Stammtisch und Erinnerungen an die Zeit, als Willy Brandt Bundeskanzler war. Irgendwann kommen wir wieder in der Gegenwart an, nicht zuletzt die Schilder einer „Urban Coffee Roastery“ und eines Yoga-Studios zeugen davon. Die werden allerdings zunehmend überwuchert von grünem, rankendem Unkraut, nichts bleibt, wie es ist, da müssen wir durch. Mit Humor, Melancholie, Albernheit, wie auch immer. Wie hatte Jörg Pose gerade noch so schön gesungen: „Die Zeit kann fast überhaupt nichts / die Zeit kann nur vergeh’n“. An diesem Abend immerhin ist sie auf sehr, sehr unterhaltsame Weise vergangen, das ist doch schonmal was. Das Publikum jedenfalls war ziemlich aus dem Häuschen, und auch der Mann in Reihe 4, Funny van Dannen persönlich, spendete stehend Beifall.

Deutsches Theater (Kammerspiele), Schumannstr. 13a, Kartentelefon 28 441 225. Nächste Termine: 6., 16. und 22. April.