Ihren Berliner Einstand gaben sie 2019 im Gropius Bau mit einem großen Thema: „Durch Mauern gehn“ befasste sich mit Strukturen, die Menschen auseinanderbringen. Nun sind Till Fellrath und Sam Bardaouil Direktoren des Hamburger Bahnhofs, und die Mauern sind wegen Corona-Krise und Ukraine-Krieg nicht kleiner geworden. Empathie und Aufeinander-Zugehen empfahlen sie 2019 als Gegenmittel. Damals schon war der amerikanische Minimalist Fred Sandback (1943-2003) mit dabei. Hatte man Museumsehrfurcht und vorübergehende Desorientierung, ob da nicht doch Wände seien, erst einmal abgelegt, war es ganz einfach, durch seine Mauern zu gehen. Denn sie bestanden nur aus gespannten Acrylfäden.
Hamburger Bahnhof: Eine Phase der Beruhigung scheint einzutreten
Anspannung und Entspannung, eine körperliche Erfahrung, die den Umgang mit anderen Menschen prägt wie auch die jüngere Geschichte des Hamburger Bahnhofs. Aktuell scheint er einer entspannteren Phase entgegenzublicken: Die Rieckhallen sind gerettet, die umstrittene Flick-Collection ist weg. Die Nationalgalerie der Gegenwart kommt ihrer Bestimmung näher, abseits von politischen und privatsammlerischen Eitelkeiten Kunstwerke zu zeigen, die auch miteinander kommunizieren und das Haus konzeptionell zusammenhalten. Aktuell bilden Christina Quarles bunte Körpererfahrungsbilder und Fred Sandbacks Körperlenkungsfäden eine Klammer für Sandra Mujingas schwarzen Elefantenhaut-Video-Block in der historischen Halle. Und in Zineb Sediras aufwendiger Installation mit Wohnzimmer, Café und Kinosaal wird im oberen Stock Tag Tango getanzt – auch eine Form von Spannung und Entspannung.
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Fred Sandback hat hier den coolen Part, obgleich einige Jahrzehnte älter als die Künstlerinnen, aber immer noch „fresh“ wie Sam Bardaouil sagt. Und „cool“ im Sinne von „die Sinne beruhigend“. Er nannte seine Arbeiten selbst „simple Facts“ – einfache Tatsachen, die nichts über sich hinaus darstellen. Er hat dafür aber genaue Anweisungen hinterlassen, wie die Fäden zu spannen sind. Anlass der Ausstellung ist eine Schenkung des Sandback-Archivs: drei rostbraune Fäden, gespannt über drei Räume, die 64 mögliche Variationen bieten, die entsprechenden Zeichnung hängen an der Wand. Aktuell teilt ein Faden auf Brusthöhe quer den Raum, täuscht aber eine Ecke vor, die beiden anderen liegen am Boden. Im Laufe der Ausstellung werden die Kuratoren alle 64 Möglichkeiten durchspielen. Die Skulptur hat Sandback 1975 für den Münchner Kunstraum geschaffen, sie soll deshalb auf Wunsch der Witwe in Deutschland bleiben.
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Weitere Fäden firmieren unter „Broadway Boogie Woogie“ und spielen auf ein gleichnamiges Werk von Piet Mondrian an. Deshalb ist das Garn hier auch verschiedenfarbig, rot, gelb und blau und weniger zum Durchgehen geeignet, weil zu eng gespannt. Die skulpturale Anmutung und Eleganz der (vielleicht) tanzenden Fäden erschließt sich auch aus dem Gegensatz von Spannung und nicht sichtbaren Verankerungen. Es kommt auf die Details an, sagt Till Fellrath, man darf die Befestigung nicht sehen. Was zumindest für den Laien wie ein Problem scheint, wird aufgehoben durch die Materialsparsamkeit und Nachhaltigkeit der Werke. Sie haben in einer kleinen Tasche Platz.
Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, Mitte. Geöffnet Di./Mi. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, Sbd./So. 11-18 Uhr. Bis 17. September.