Bei Albrecht Dürer und Lucas Cranach waren es Apfelbaumzweige, bei späteren Malern oft ein Feigenblatt, Hugo van der Goes entschied sich für eine blaue Schwertlilie, um die Scham der Eva zu bedecken. „Der Sündenfall“ ist Teil eines ungewöhnlichen Diptychons aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum, für die Ausstellungsmacher der Gemäldegalerie nicht das Hauptwerk, aber das Juwel der ersten Gesamtschau des niederländischen Altmeisters Hugo van der Goes (1440-1483/83) überhaupt. Das erklärt sich aus dem schmalen Umfang seines Werks und den meist großformatigen, sperrigen Tafeln. Dabei steht van der Goes in einer Reihe mit van Eyck, Bosch und Rubens, sagt Stephan Kemperdick, Kustos für altniederländische Malerei. Dass der Künstler lange Zeit wenig bekannt war, hängt mit der schweren Zugänglichkeit seiner Werke zusammen und dass man so gut wie nichts über ihn wusste. Die Ausstellung versucht der Frage nachzuspüren, wo und bei wem er gelernt hat.
So taucht auf einer „Beweinung Christi“ von Rogier van der Weyden eine Magdalena mit bemerkenswerter Frisur auf, die später fast identisch auf Hugo van der Goes’ Portinari-Altar in den Florentiner Uffizien erscheint. Dieses Werk ist aufgrund seiner Größe nicht transportabel und deshalb nur als Reproduktion zu sehen. Vielleicht hat Hugo van der Goes in van der Weydens Brüsseler Werkstatt als Geselle gearbeitet, bevor er sich 1461 in Gent selbstständig machte. Die meisten seiner Werke entstanden aber in einem Kloster bei Brüssel. Das ist auch das große Rätsel im Leben des Hugo van der Goes.
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Berlin besitzt mit drei Bildern von insgesamt 14 bekannten (12 davon sind Teil der Schau) die größte Dichte und mit dem Monforter Altar ein frisch restauriertes Hauptwerk. Dargestellt ist eine „Anbetung der Könige“, die eigens für diese Schau in neuer Dimension erstrahlt. Der Restaurator Bertram Lorenz hat anhand von Abzeichnungen und Kopien den mittleren, später abgesägten Aufbau rekonstruiert. Das Bild schießt jetzt förmlich in den Himmel. Im Gegensatz zum kleinformatigen Wiener „Sündenfall“, der für die private Andacht gedacht war, wird bei diesem Altar die monumentale Kraft der Figuren deutlich, für die van der Goes schon zu Lebzeiten bewundert wurde und die ihm Aufträge bis nach Florenz einbrachten.
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Beim „Sündenfall“ wiederum überrascht eine Eva, die wie ein Model aus heutigen Tagen posiert und selbstbewusst in eine imaginäre Kamera blickt. Sie wirkt wie das Porträt einer echten Frau, die sich ihrer Wirkung bewusst ist. Auch bei anderen Werken stehen die Figuren wie Schauspieler auf einer Bühne und weisen eine erstaunliche Präsenz auf. Die „Geburt Christi“ aus der Gemäldegalerie verstärkt diesen Eindruck mit einem gemalten Vorhang, der von zwei Propheten gehalten wird. Gleich daneben hängt „Marientod“, frisch restauriert in leuchtenden Farben aus Brügge angereist. Dieses Bild verdeutlicht wie kein anderes, was mit dem Titel der Ausstellung „Zwischen Schmerz und Seligkeit“ gemeint ist. Die Apostel beweinen in großer Verzweiflung den Tod Mariens, während vom Himmel Christus mit einer Engelschar erscheint.
Warum van der Goes 1476 als Laienbruder ins Kloster ging, weiß man nicht, mangelnde Anerkennung war es jedenfalls nicht. Einen Hinweis gibt ein lateinisches Manuskript, verfasst von einem Klosterbruder. Als es 1863 auftauchte, war es eine Sensation. Ein Mitbruder berichtet darin, dass van der Goes auch im Kloster als Maler mit eigenem Atelier tätig war. Hochrangige Besucher waren zu Gast und überhäuften ihn mit Aufträgen, die ihn unter Druck setzten. Aber was die Entdecker des Buches Ende des 19. Jahrhunderts am meisten faszinierte, war eine Katastrophe: van der Goes wurde wahnsinnig. Er hielt sich für verflucht und konnte nur mit Mühe am Selbstmord gehindert werden. Das entsprach der romantischen Vorstellung vom wahnsinnigen Genie. Der Neffe des Entdeckers illustrierte den Vorfall mit einem Historienbild, das im letzten Teil der Ausstellung zu sehen ist: Hugo van der Goes mit irrem Blick inmitten seiner Klosterbrüder, die ihn mit schönen Gesängen abzulenken versuchen. Der große Vincent van Gogh hat sich darauf berufen. In mehreren Briefen an seinen Bruder verglich er seinen Zustand mit dem des Malers aus dem 15. Jahrhundert.
Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, Tiergarten. Geöffnet Di./Mi. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, Sbd./So. 10-18 Uhr. Bis 16. Juli.