Ausstellung

Im Schatten der Geschichte: Daniel Boyd im Gropius Bau

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Untitled (SOAGS) von Daniel Boyd.

Untitled (SOAGS) von Daniel Boyd.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Die Kosten des Kolonialismus: Europas erste umfassende Einzelausstellung des australischen Künstlers Daniel Boyd.

In der oberen Etage des Gropius Baus sind die Fenster mit einer durchlöcherten Folie verblendet (siehe Titelbild dieser Ausgabe). Im Erdgeschoss weist der Boden des großen Lichthofs eine ähnliche Musterung auf – man muss seine Schuhe ausziehen, um die fragile Installation betreten zu dürfen. Auf vielen Bildern des australischen Künstlers Daniel Boyd (im Bild unten rechts) spielt das Nebeneinander von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit eine entscheidende Rolle. Die Oberflächen seiner Arbeiten überzieht er mit Punkten aus Kohle und Klebstoff, die er Linsen nennt – es entsteht etwas Fragmentarisches, ein Geflecht aus Inhalt und Leere, zugleich programmatisch für das, worum es Boyd geht: die Auswirkungen des Kolonialismus, um das in seinem Namen verübte Unrecht, um Sklaverei, Eurozentrismus und die Gewalt des westlichen Blicks.

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Das lässt sich gut ablesen an dem Bild „Sir No Beard“ (2009, unten links), das Bestandteil einer größeren Serie und noch noch nicht mit der Linsen-Technik entstand. Wir sehen im Vordergrund einen Mann mit Augenklappe und dem entschlossenen Gesichtsausdruck eines Piraten, sein rechter Arm ruht auf einem Gehstock. Es handelt sich um den britischen Naturforscher Joseph Banks (1743-1820), der James Cook 1768-1771 auf seiner Weltumseglung mit der HMS Endeavour begleitete. Für seine wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden ihm viele Ehrungen zuteil: Sein Konterfei wird auf die Fünf-Dollar-Note Australiens gedruckt, Pflanzengattungen und sogar ein Asteroid sind nach ihm benannt. Weniger bekannt und in der westlichen Weltentdeckungserzählung geradezu verdrängt ist allerdings, dass Banks auch der Mann war, an den der in Spiritus eingelegte Kopf von Pemulwuy geschickt wurde – einem wichtigen Protagonisten im Widerstand der First Nations gegen die Kolonialherrschaft auf Gadigal und Wangal, der 1802 von den Briten erschossen und enthauptet wurde. Auf ihn spielt Boyd hier an, indem er seinen eigenen Kopf im Glasbehälter darstellt, der neben Banks steht.

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Zu den Aufgaben postkolonialer Geschichtsbetrachtung gehört es, die eigenen Leitnarrative in Frage zu stellen. Die Ausstellung im Gropius Bau, kuratiert von Stephanie Rosenthal und Carolin Köchling und eine Premiere in Europa, tut dies auch, indem sie sich den Mechanismen solcher Erzählungen widersetzt. Die Besucherinnen und Besucher können frei wählen, welchen Weg sie einschlagen wollen, die Logik des Chronologischen ist aufgebrochen. Und sie stoßen auf sich vielfältig zusammensetzende Bezüge aus der Welt indigenen Lebens und der persönlichen Lebensgeschichte des Künstlers. Der 1982 in Gimuy/Cairns geborene Daniel Boyd zeigt auf seinen Bildern unter anderem seine Urgroßmutter, seine Großmutter und seine Schwester, schlägt den Bogen zu den Landschaften seiner Heimat und versteht auch die ästhetische Formensprache des Westens als künstlerisches Material. Seine Abbildungen griechischer und römischer Statuen widersetzen sich jedoch dem Repräsentations- und Herrschaftsgestus der klassizistischen Formensprache – hier erscheint sie porös, körnig und schemenhaft. Man sieht sie in einem neuen Licht. Nein: Man sieht endlich ihre Schatten.

Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, Kreuzberg. Geöffnet Mo.-Fr. 11-19 Uhr, Sbd./So. 10-19 Uhr. Bis 9. Juli. Informationen: gropiusbau.de.