Es ist ja fast schon ein Klischee, wenn in einem Historienfilm eine Frau in ein Korsett geschnürt wird. Und so wirsch, dass ihr die Luft wegbleibt. Besser kann man das Eingeschnürt- und Gefangensein in gesellschaftliche Zwänge und überalterte Strukturen gar nicht visualisieren. Dass die Frau dabei noch blutig geschlagen wird, ist allerdings neu. Und das auch noch von der eigenen Mutter – nein, das hat man so wohl doch noch nicht gesehen.
Es ist aber nicht die Kaiserin Elisabeth, die hier von ihrer gestrengen Schwiegermama gezüchtigt wird. Obgleich man sich auch das gut vorstellen könnte. Es ist Irma Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller), die da gleich zu Beginn des Films „Sisi & ich“ so roh behandelt wird. Und es ist die Mutter (Sibylle Canonica), die ihr noch mit auf den Weg gibt, welche Schande die Tochter für ihre ehrenwerte Familie ist. Weil sie nie heiraten wollte und jetzt das ist, was man eine alte Jungfer nennt. „Entweder Kloster oder das hier“, ist die ultimative Drohung.
Die Kaiserin und ihre Hofdame - zwei, die die Etikette und die Männer hassen
„Das hier“ ist eine Stelle als Hofdame der Kaiserin Elisabeth. Und das ist so ziemlich das Letzte, was Gräfin Irma anstrebt. Da ist sie ja direkt am Hofe, wo die Etikette besonders streng befolgt wird. Und dass Irma nicht dafür gemacht ist, davon zeugen ja schon ihre dreckigen Fingernägel. Außerdem gehen der Kaiserin üble Gerüchte voraus. Streng soll sie sein, fordernd und misslaunig. Aber Hauptsache, weg von der herrischen Mutter.
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Also wird die ungarische Gräfin zur Kaiserin gesendet, die in Korfu weilt, fernab vom Wiener Hof. Aber schon den Weg vom Hafen zu dem kleinen Palast muss sie mit ihrem großen Koffer schwitzend und keuchend zu Fuß antreten. Und auch als sie ankommt, wird ihr keine Erfrischung angeboten. Die Kaiserin triezt sie gleich mit sadistischen Anweisungen, die sie aus der Ferne begutachtet. Den Aufnahmetest besteht die Gräfin mehr schlecht als recht.
Ein Film, der das Historienkino zugleich bedient – und ironisch bricht
Und sie staunt bald, wie es zugeht in diesem Haushalt, in dem es nur einen Mann, den Grafen Berzeviczy (Stefan Kurt), gibt. In dem die Frauen sich ganz zwanglos geben. Und die Kaiserin auch gern und ungeniert mit ihren Untergebenen schmust. Aber eigentlich ist es ja das Paradies für die Gräfin, denn die Kaiserin hasst die Etikette - und die Männer - wie sie. Schon bald steigt sie denn auch zu Sisis bevorzugter Hofdame auf (was die Eifersucht unter den jüngeren Dienerinnen weckt) und wird, mehr noch, so etwas wie eine Freundin. Zumindest bis zur nächsten Stimmungsschwankung.
Sisi-Kult und kein Ende: Neben den alten „Sissi“-Filmen mit Romy Schneider, die alljährlich zu Weihnachten wiederholt werden, gibt es ja schon gleich zwei Serien, eine von RTL, eine von Netflix, die die Geschichte von der Backfisch-Kaiserin neu erzählen. Von beiden gibt es schon eine zweite Staffel.
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Aber dann gibt es noch ein ganz neues Interesse zu verzeichnen an der älteren, reiferen Elisabeth. Katrin Duve hat darüber einen Roman geschrieben. Und die Wienerin Marie Kreutzer hat bereits einen radikalen, bewusst anachronistischen Film „Corsage“, wo es das einschnürende Korsett gleich in den Titel gebracht hat und wofür Vicky Krieps als Sisi mit dem Europäischen Filmpreis als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde.
Da wird der sapphischen Liebe gefrönt und vom Hasch genascht
Da kommt „Sisi & ich“ von Frauke Finsterwalder fast ein wenig zu spät. Doch ihr zweiter Film (den sie wie ihr Debüt „Finsterworld“ vor zehn Jahren wieder mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Christian Kracht schrieb) unterscheidet sich doch deutlich von „Corsage“. Weil er überwiegend an einem entlegenen Ort, eben auf Korfu, spielt, und nur a bisserl auch am Wiener Hof. In einem sehr begrenzten Zeitrahmen also – und aus der ungewöhnlichen Perspektive einer Frau, die ihr dienen muss. Und sich in sie vernarrt.
Auch Finsterwalders Film baut bewusst auf Brüche und Verfremdungen. Außer am Anfang wird eben kein Korsett getragen. Dazu gibt es wilde Rockmusik, Sandra Hüller singt auch selbst. Und eine Zugfahrt wird, nicht nur der Kosten halber, durch eine Miniatureisenbahn ersetzt. Ein bildlich spielerischer Ansatz mit Fakten und Fiktion. Wo die Damen nicht nur der sapphischen Liebe frönen, sondern auch mal vom Haschisch naschen. Was bald zur Dauerdroge wird, wenn die Kaiserin dann doch wieder stärker an die Kandare des Hofs gezogen werden soll.
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Das ist spannend anzusehen, weil der klassische Historienfilm hier immerzu ironisiert und gebrochen, aber mit großen Kinobildern auch immer wieder bedient wird. Ein bisschen wie Bertoluccis Epos „Der letzte Kaiser“. Und das würde ja auch vom Titel passen: Die letzte Kaiserin. Das ist vor allem spannend anzusehen, weil der Film eine große Leistungsschau für zwei starke Darstellerinnen ist, die beide vom Theater kommen, beide Meisterinnen ihres Fachs sind und doch noch nie zusammen gespielt haben.
Ein spannendes Messen zweier Ur-Kräfte: Sandra Hüller und Susanne Wolff
Sandra Hüller als Hofdame und Susanne Wolff als Elisabeth. Da prallen zwei Schwergewichte aufeinander. Was wohl zunächst auch nicht ganz einfach war. Im Interview mit der Berliner Morgenpost deutete Sandra Hüller immerhin vielsagend an: „Die Dynamik war sehr interessant“. Und von dieser Dynamik, dieser Wucht, diesen Energiezentren lebt der ganze Film.
Am Ende schreibt auch Frauke Finsterwalder die Historie um. Nicht so radikal wie Marie Kreutzer. In „Corsage“ floh die Sisi der Vicky Krieps aus der Welt der Zwänge, indem sie sich ins Meer stürzte. So aktiv ist Susanne Wolffs Sisi nicht. Hier ist es die Hofdame, die ihrer Herrin letzte Erlösung bringt. Und dafür endlich den größtmöglichen Dank erfährt: „Du liebst mich ja noch viel mehr, als ich dachte.“
Drama D 2023, 132 min., von Franke Finsterwalder, mit Sandra Hüller, Susanne Wolff, Stefan Kurt, Georg Friedrich, Sibylle Canonica, Angela Winkler, Johanna Wokalek