Hauptrolle Berlin

Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära

| Lesedauer: 8 Minuten
Ein Liebespaar der anderen Art: Der sympathische Loser (Jürgen Vogel) und die sich durchs Leben schnorrende Vera (Christiane Paul).

Ein Liebespaar der anderen Art: Der sympathische Loser (Jürgen Vogel) und die sich durchs Leben schnorrende Vera (Christiane Paul).

Foto: X Filme

Im Zoo Palast wird am 4. April noch einmal „Das Leben ist eine Baustelle“ gezeigt. Und Wolfgang Becker erzählt von den Dreharbeiten.

Einmal muss einfach Schluss sein. Der junge Held oder doch eher Anti-Held dieses Films will alles richtig machen, will ein guter Bruder, ein guter Onkel sein. Müht sich um eine mögliche neue Liebe. Und alles, was ihm zustößt an Unbill in dieser Stadt und an Ungerechtigkeit in diesem Leben, nimmt er lange stoisch hin. Aber irgendwann läuft das Fass einfach über. Als er auf der Straße von einem wütenden Kampfhund angebellt wird, schreit er zurück. Schreit den Hund an. Schreit seine angestaute Wut hinaus. Schreit in die lärmende Stadt.

Eine andere tierische Szene dagegen: Just als er in einem seiner vielen Gelegenheitsjobs in ein dickbauchiges Kostüm als knallgelbes Küken schlüpft, zieht die Liebe seines Lebens in der Tram an ihm vorbei. Und er rennt hinterher, watschelt eher, weil das Kostüm ihn behindert. Zwei Szenen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und diesen Stadtneurotiker am Rande des Nervenzusammenbruchs immerzu in der Stadt verorten.

Alle Figuren sind hier im Umbruch, die Stadt ist es auch – und wird zur Metapher

Wie erfrischend neu „Das Leben ist eine Baustelle“ war, als der Film 1997 ins Kino kam, und wie sehr er den deutschen Film verändert hat, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Mitte der 90er-Jahre war Berlin schon Hauptstadt, musste sich in diese Rolle aber erst noch finden. Wovon zahllose Baustellen rund um die frühere Mauerkluft zeugten.

Die deutsche Filmhauptstadt aber war nach wie vor München. Dort residierten allmächtige Filmfirmen. Deshalb spielten auch fast alle deutschen Filme dort. Und fast alle waren Beziehungskomödien. In realitätsfernen Heileweltkulissen. Mit einem sehr speziellen, immergleichen, international aber nicht vermittelbaren Humor.

Lesen Sie auch: Die Tragödie eines lächerlichen Menschen: John Malkovich brilliert als „Seneca“

Der Trailer zum Film: „Das Leben ist eine Baustelle“

Aber dann wurde 1994 eine neue Produktionsfirma in Berlin gegründet, die andere Filme schaffen wollte. Eine Ansammlung von Künstlern: Drei Regisseure, Tom Tykwer, Dani Levy und Wolfgang Becker, und ein Produzent, Stefan Arndt, schlossen sich, um mehr kreative Freiheit zu haben, in der Firma X Filme zusammen, mit dem optimistischen Beinamen Creative Pool. Und der erste große Erfolg des Hauses war nicht Tom Tykwers „Lola rennt“, der kam erst ein Jahr später, sondern „Das Leben ist eine Baustelle“ von Wolfgang Becker, der mit Tykwer das Drehbuch schrieb.

Der Titel war Programmansage. Der Film erzählte schon auch irgendwie eine Liebesgeschichte, und komisch war sie auch. Aber der Humor war weder süßlich noch krachledern, sondern rabenschwarz. Und die Geschichte spielte mitten in der Wirklichkeit, was Mitte der 90er in Berlin auch hieß: zwischen lauter Baustellen. Da irren die Figuren zwischen Bauzäunen und Gerüsten herum, weil alles saniert, alles anders wird. Nichts mehr bleibt, wie es ist.

Ein ironischer Spruch auf einem Bauzaun, der zum geflügelten Wort wurde

Und als sich das Liebespaar einmal streitet, läuft es an einem Zaun vorbei, auf dem mit roter Farbe ein Spruch aufgemalt ist, der zum geflügelten Wort geworden ist: „Die Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära“. Eine Verballhornung von Gabriel García Marquez’ Kultbuch mit der Cholera. Und diese Kohl-Ära mit deren sozio-kulturellem Stillstand wollte dieser Film, diese Firma den Kampf ansagen. Mit einer Produktion, die mal mitten im Leben spielt, mit nicht so privilegierten Figuren wie im Schickimicki-München.

Lange war „Das Leben ist eine Baustelle“ nicht mehr zu sehen. Jetzt gibt es den Film frisch restauriert. Und wird so noch einmal in der Filmreihe „Hauptrolle Berlin“ gezeigt, in der die Berliner Morgenpost gemeinsam mit dem Zoo Palast an jedem ersten Dienstag im Monat einen waschechten Berlin-Film zeigt. Seit Beginn der Reihe vor siebeneinhalb Jahren stand dieser Titel immer auf dem Wunschzettel. Es passt immerhin zu diesem Film, dass dieser Plan lange eine Baustelle blieb. Dafür wird man nun mit einer bestechend neuen Bildqualität belohnt.

Lesen Sie auch:Lars Kraume über „Der vermessene Mensch“ und eine verdrängte deutsche Schuld

„Das Leben ist eine Baustelle“ ist die Geschichte von Jan Nebel (Jürgen Vogel), den man wohl einen sympathischen Loser nennen darf. Er wohnt zur Untermiete bei seiner Schwester (Martina Gedeck) und deren schamlosen Freund (Armin Rohde), kümmert sich liebevoll um seine vernachlässigte Nichte, jobbt in einer Großfleischerei, und statt Miete zahlt er mit geklautem Fleisch.

Aber auf dem Nachhauseweg gerät er in eine Straßenschlacht, wird versehentlich für einen Supermarktplünderer gehalten und mit der schönen Vera (Christiane Paul) von der Polizei verfolgt. Vera kann entkommen, Jan dagegen landet für eine Nacht im Knast, muss jetzt auch noch eine horrende Geldstrafe zahlen. Und dann findet er auch noch seinen Papa tot in dessen Küche, den Kopf in einem Teller voller Ravioli aus der Dose.

Weg vom deutschen Kino: Becker orientierte sich eher an Ken Loach

Aber da ist ja noch Vera. Statt gleich den Toten zu melden, geht Jan erstmal zu einem Date mit ihr. Das geht natürlich gründlich schief. Bei der Arbeit wird er auch rausgeworfen. Und dann gesteht ihm eine Angestellte (Meret Becker) dort, mit der er einen One-Night-Stand hatte, dass sie HIV-positiv ist und ihn womöglich angesteckt hat. Wahrlich nicht die besten Voraussetzungen für den Beginn einer neuen Liebe.

Aber Vera, die sich durchs Leben schnorrt und eine deutlich bessere Lebenskünstlerin ist als Jan, taucht wie ein guter Geist immer an den überraschendsten Momenten in der Stadt auf. Und dann ist da noch Bruno „Buddy“ Budenski (Ricky Tomlinson), den Jan in der Fleischerei kennengelernt hat. Der ertrotzt sich auch seinen Platz in der Stadt. Und mit ihm gründet Jan eine Zweck-WG. In der Wohnung des verblichenen Vaters, deren Haus selbstredend im Gerüst steht.

Lesen Sie auch: Lars Eidinger über den Eidinger-Dokumentarfilm: „Ich ist die Rolle meines Lebens“

Alle Figuren hier sind im Umbruch. Und die Stadt um sie herum ist es auch und wird zur Metapher, zum Sinnbild einer kollektiven Gemütslage. Kein Zufall, dass der Film im Winter spielt. Die Zustände sind eisig, selbst die Spree ist zugefroren. Bei den Locations konnte Becker aus dem Vollen schöpfen. Berlin war noch nicht, wie heute, ausverfilmt, und bot ganz neue Kulissen. Den Gerüstewald allüberall. Leere Brachen, die noch von der Teilung der Stadt zeugen und bald verschwinden sollten. Aber auch die nigelnagelneue Friedrichstraße, die damals noch so leer war, wie jetzt wieder, da sie zur Fahrradstraße gezwungen wurde.

Figuren in eher prekären Verhältnissen, die sich die Lebenslust aber nicht nehmen lassen

Als der Film 1997 ins Kino kam, wurde er mit vielen Preisen ausgezeichnet. Und gefeiert für den frischen Ton, den er ins deutsche Kino brachte. Regisseur und Drehbuchautor Becker hat sich eher am sozialkritischen British Cinema orientiert, insbesondere an die Werke von Ken Loach, dessen Star Tomlinson hier wie ein Faustpfand mitspielt. Und der Film spielt eben nicht an edlen, gelackten Adressen. Sondern in eher prekären Verhältnissen. In der sich aber alle ihre Lebenslust nicht nehmen lassen.

Das Wiedersehen mit diesem Film macht schon allein deshalb Spaß, weil so viele mitspielen, die erst danach Stars werden sollten: Christiane Paul, aber auch Martina Gedeck und Armin Rohde, die hier sehr komische Momente haben, sowie Andrea Sawatzki und Heino Ferch. Spaß macht der Film auch, weil man erinnert wird, in welchem Umbruch die Stadt vor gut 30 Jahren war. Und „Das Leben ist eine Baustelle“ markiert auch den Aufbruch des Filmstandorts Berlins.