Museum für Fotografie

„Flashes of Memory“: Fotografie im Holocaust

| Lesedauer: 6 Minuten
Volker Blech
Ein langer Tisch voller Fotos steht in der Ausstellung „Flashes of Memory: Fotografie im Holocaust“ im Museum für Fotografie.

Ein langer Tisch voller Fotos steht in der Ausstellung „Flashes of Memory: Fotografie im Holocaust“ im Museum für Fotografie.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Die facettenreiche Ausstellung „Flashes of Memory“ im Berliner Museum für Fotografie ist aus Jerusalem übernommen.

„Flashes of Memory: Fotografie im Holocaust“ ist die beeindruckend facettenreiche Ausstellung im Museum für Fotografie überschrieben. Es ist eine Übernahme aus der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. In Jerusalem war die Fotoschau 2018 eröffnet worden. Es ist eine in mehrfacher Hinsicht irritierende Zusammenstellung. Historisch konkret verortet, führt die Schau zurück ins Nazi-Deutschland der 1930er- und 1940er-Jahre mit Schwerpunkt auf dem Holocaust. Aber auf den ersten Blick ist die Fotopräsentation eine chaotisch anmutende Gleichzeitigkeit und blitzlichtartige Überlagerung von Bildern und Motiven. Das Prinzip ist gewollt.

Die Fotoausstellung muss sich auf nachgeborene Generationen, auch auf die Selfie-Generation einlassen. Der Umgang mit Fotos ist technisch vertrauter und auch schneller. Realistische Abbildungen und Manipulationen liegen heute immer dicht beieinander. In all den Bilderfluten muss es am einzelnen Bild hinterfragt werden. Das Prinzip der Gleichzeitigkeit findet sich in der Holocaust-Ausstellung auch in den Motiven wieder.

Fast nebeneinander hängen Propagandafotos der Nazis, ein „Verbrecheralbum“ der Nürnberger Polizei mit vermeintlich kriminellen Juden und Fotos von jüdischen Fotografen, die offiziell in bestimmten Ghettos Aufnahmen machen durften. Darüber hinaus gibt es Schnappschüsse aus dem deutschen Alltag zu sehen, etwa wenn sich 1938 die antisemitische Volksseele auf dem Nürnberger Karneval in boshaftesten Karikaturen austobt. Nur beiläufig sei daran erinnert, dass antisemitische Karikatur-Skandale zur bundesdeutschen Geschichte gehören – bis in die documenta-Gegenwart.

Die Fotoausstellung zeigt den Holocaust aus drei höchst verschiedenen Perspektiven. Es gibt die antisemitische Weltanschauung von Deutschen, was sich in der Nazi-Propaganda wie in Hobbyfotos niederschlägt. Es gibt die Fotos der jüdischen Opfer, in denen sich die Verletzlichkeit der Menschen und die Unkenntnis ihres Schicksals spiegeln. Man fragt sich bang, wie viele dieser Gesichter auf den gezeigten Fotos den Massenmord nicht überlebt haben. Die Leichenberge in den Vernichtungslagern wurden von den Befreiern dokumentiert.

Auf dem Reichstag schwenken Soldaten am Kriegsende die sowjetische Flagge

„Fotografie im Holocaust“ will auch das Ende Nazi-Deutschlands und damit der Shoa dokumentieren. Militärfotograf Yevgeny Khaldei machte am 2. Mai 1945 das berühmt gewordene Foto auf dem Dach des Reichstags, auf dem zwei Soldaten die sowjetische Fahne schwenken. Die Fotos der Amerikaner nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau dienten nach dem Krieg der Umerziehung der Deutschen. Fotos spielten auch beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess im September 1946 eine Rolle.

„Ich habe Göring viele Male fotografiert“, so Yevgeny Khaldei, „weil ich dachte: Hitler ist tot. Nun ist Göring der Hauptverbrecher. Ich habe immer wieder versucht, mich ihm zu nähern, aber sobald er merkte, dass ich ein Foto mit ihm machen wollte, versteckte er sein Gesicht hinter der Hand.“ Die Nazis wussten um die Macht der Bilder. Eine Wand ist Julius Streichers antisemitischer Hetzzeitung „Der Stürmer“ gewidmet. Ein Foto zeigt sechs junge Männer vor einem Schaukasten, wie sie mit den Händen in den Taschen den „Stürmer“ mit den Texten, Karikaturen und Fotografien studieren. „Mit dem Stürmer gegen Juda“ prangt einem in großen Lettern entgegen.

Dass die Fotoausstellung jetzt erstmals im „Land der Täter“ zu sehen sei, wurde bei der Vorstellung am Donnerstag mehrfach betont. Aber was bedeutet das in der Gegenwart praktisch? Tatsächlich wurde die von Vivian Uria kuratierte Schau zuerst für Israelis und insbesondere für die Nachfahren der Holocaustopfer konzipiert, die ihre eigene Identität befragen und den Traumata nachgehen. Dazu kommen Jerusalem-Touristen aus aller Welt, Juden wie Nichtjuden, die sich mit dem Holocaust befassen wollen. In Deutschland sind viele der jetzt gezeigten Fotos seit Jahrzehnten bekannt und werden in Ausstellungszusammenhängen im Jüdischen Museum oder im Centrum Judaicum gezeigt. Wer mehr über Hitler, Göring, Goebbels oder Leni Riefenstahl wissen will, muss nur den Fernseher anschalten, wo ausdauernd fragwürdige Dokumentationen laufen.

Ein Hobbyfoto mit vier jungen Männern offenbart den Antisemitismus

Aber dann steht man plötzlich irritiert vor einem großen Hobbyfoto und beginnt zu verstehen, warum diese Ausstellung unbedingt in Deutschland gezeigt werden muss. Es spiegelt das hierzulande über Generationen im Alltag Verdrängte. Es wird in dieser Schau der Gleichzeitigkeit ganz beiläufig wieder hervorgeholt. Das Foto zeigt vier junge, auf den ersten Blick sympathische Kerle, die sich lächelnd an ihr Auto auf einer Landstraße lehnen. Sie wirken gepflegt, stolz und mit genug Testosteron ausgestattet. So sieht Zukunft aus. Allerdings steht groß auf dem Reserverad des Autos „Juden sind unser Unglück“. Es ist der antisemitische Schnappschuss eines Hobbyfotografen, über den man in Deutschland auch nachdenken muss.

Die Bildunterschrift in der Ausstellung erklärt, dass diese Losung dem deutschen Historiker Heinrich von Treitschke zugeschrieben wird und diese von der NSDAP aufgegriffen und verbreitet wurde. Das Foto beweist, wie populär der Spruch des glühenden Antisemiten war. Beiläufig sei daran erinnert, wie lange die Berliner am Namen der Treitschke-Straße in Steglitz festgehalten haben. Und noch steht die konkrete Umbenennung aus.

Die Existenz des Hobbyfotos in der Ausstellung wirft Fragen auf. Denn was haben die Männer nach dem Krieg ihren Kindern und Enkeln beim Blättern durchs Familien-Fotoalbum erzählt? Haben sie sich von der Losung distanziert oder ihren Judenhass klammheimlich bestätigt? Man ahnt, wie viele deutsche Hobbyfotografen ihre Bilder zum Holocaust weitergegeben haben. Ein Zeitgenosse wird in der Ausstellung zitiert. „Und ich sagte mir wieder einmal, dass die Hitlerei vielleicht doch tiefer und fester im Volke verwurzelt und der deutschen Natur entspricht, als ich wahrhaben möchten“, schrieb Victor Klemperer am 17. Juli 1937 in sein Tagebuch. Für die Ausstellung wurden Fotografien, Filme und Kameras aus Archiven und Museen in den USA, Europa und Israel zusammengetragen.

Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Charlottenburg. Bis zum 20.8.