Film der Woche

„Seneca“: Die Tragödie eines lächerlichen Mannes

| Lesedauer: 7 Minuten
Erst ist der Tod nur ein Theaterspiel, dann wird er blutiger Ernst: Seneca (John Malkovich) mit seinem Gefährten Statius (Samuel Finzi).

Erst ist der Tod nur ein Theaterspiel, dann wird er blutiger Ernst: Seneca (John Malkovich) mit seinem Gefährten Statius (Samuel Finzi).

Foto: Filmgalerie 451

Ein Philosoph, der über den Dingen steht? Robert Schwentke zeichnet ihn in „Seneca“ ganz anders. Mit einem brillanten John Malkovich.

Wie Seneca starb, das weiß jeder. Auch wer nie etwas über den altrömischen Philosophen und begnadeten Redner gelesen hat. Denn da gibt es ja die berühmte Szene aus dem Sandalenfilm „Quo vadis?“, wo ein tobender Nero den Tod seines einstigen Ziehvaters beschließt – und der noch zu einem letzten Mahl zu sich lädt, sich vor aller Augen die Pulsadern aufschlitzt und noch im würdigen Sterben letzte Lebensweisheiten und Spitzen gegen den kaiserlichen Despoten zum Besten gibt. Die seine Freunde begierig aufsagen.

Achtung: Wer Action-Unterhaltung à la „R.E.D.“ erwartet, wird hier brutal enttäuscht

Aber ach! War ja vielleicht alles ganz anders. Das zumindest erzählt uns jetzt, über 70 Jahre nach dem Filmklassiker, eine neue Produktion, in der Seneca nicht nur eine schillernde Nebenfigur ist und sein Sterben den ganzen Film füllt. Geschrieben und inszeniert hat das der deutsche Regisseur Robert Schwentke, der in Hollywood schon knallige Actionfilme wie „Flightplan“ (mit Jodie Foster) und die „R.E.D.“-Filme mit Bruce Willis, John Malkovich und Mary Louise Parker gedreht hat.

Malkovich gibt in „Seneca“ die Titelfigur, und auch Frau Parker ist mit von der Partie. Doch wer nun einen weiteren Hollywood-Reißer erwartet, wird enttäuscht. Schwentke legt absichtsvoll eine falsche Fährte. Den Zuschauer erwartet ein sehr spezieller, sehr schräger und experimenteller Arthousefilm, der keinerlei Action bietet, aber jede Menge Text und Wortlast. Auch das Setting ist gewollt verfremdet. Keine aufwändigen Kulissen also mit altrömischen Palästen. Sondern eine einzige Villa auf dem Land, Senecas Zwangsexil, die eher nach einem heutigen, modischen Landhaus aussieht. Nur Fenster müsste man noch einbauen.

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Auch die Kostüme sind eher zeitlos und scheinen aus einem Theaterfundus geliehen. Theater ist auch sonst ein wichtiges Stichwort. Denn tatsächlich ist „Seneca“ eher eine Theater-Performance, allerdings open-Air in pseudo-antiken Kulissen. Die wie zum größtmöglichen Kontrast in extremen Breitwandbildern aufgenommen sind. Eine Tragödie in grellstem Sonnenlicht. Ein Kammerspiel in idyllischer Weite. Was die Verlorenheit der Hauptfigur nur umso mehr hervorhebt.

Antikisierendes Drama mit deutlichen Verweisen auf die Gegenwart

Man muss sich darauf allerdings erst mal einlassen. Und wird anfangs eher erschreckt, wenn nicht gar abgeschreckt. Denn in den ersten Minuten wird ein Wust an Fakten abgerollt, wie in einem Volkshochschulfilm, für die die namhaften Schauspieler reichlich überqualifiziert wären. Sehr schön aber schon da, dass dies nicht als Historienstoff aus tiefster Vergangenheit erzählt wird, sondern ganz heutig, mit Verweisen auf die Gegenwart.

Auf den antiken Gemäuern ist schon mal ein Graffiti mit Panzer zu sehen. Der Kaiser wird als „Mr. President“ angesprochen. Und zupft auf nicht (wie Peter Ustinov in „Quo vadis?“) auf einer Leier, sondern schrammt auf einer Art antiker E-Gitarre Rockmusik. Der junge Tom Xander gibt diesen Nero als bockig- sadistisches Kind, dem sein philosophischer Berater ebenso stoisch wie vergeblich versucht, Werte und Rhetorik beizubringen. „Schnauze halten“, herrscht der hitzköpfige „President“ ihn dann an. Und nimmt ihn genüsslich in den Schwitzkasten.

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Ganz bei sich selbst kommt der Film erst dann an, wenn Seneca bereits, in Ungnade gefallen, im Exil lebt. Da umgibt er sich dann, in ödester Ferne, mitseinem eigenen kleinen Hofstaat, zu dem die Filmstars Geraldine Chaplin und Julian Sands zählen, aber auch deutsche Schauspieler wie Lilith Stangenberg, Samuel Finzi, Wolfram Koch, Alexander Fehling und Louis Hofmann.

Die lauschen den Weisheiten und Apercus des Philosophen. Aber dieser Seneca ist eben nicht der weise Mann von Rom. Er hat sich da bereits als Opportunist der Macht erwiesen, als „Bonzen-Seneca“, der die damit verbundenen Privilegien genoss und sich im Nachhinein damit herausredet, ohne ihn wäre Nero noch viel schlimmer.

Welch Ironie: Der Philosoph redet und redet – aber keiner hört ihm zu

Noch schlimmer? Neros Verfolgungswahn geht so weit geht, dass er seine eigene Mutter Agrippina (Parker) ermordet. Und auch in Seneca sieht er einen Terroristen. Ergo schickt er einen Mörder – der Seneca immerhin die Chance gibt, aus eigener Hand aus dem Leben zu scheiden. Da wären wir also wieder bei „Quo vadis“. Aber hier geht der Weg in eine andere Richtung.

Seneca redet und redet, er hört gar nicht mehr auf. Aber die anderen hören nicht mehr zu. Sie bangen, mit ihm in Ungnade zu fallen, einer nach dem anderen stiehlt sich davon. Seneca schneidet sich auch die Pulsadern auf. Aber ach!, während seine Gefährtin Pollina (Stangenbert), die mit ihm aus dem Leben scheiden will, blutet und blutet, versiegen seine Wunden im Nu. Auch andere Formen des Suizids gelingen nicht. Die Tragödie eines lächerlichen Mannes, der nicht mal zu sterben weiß. Und am Ende nur noch Monologe hält, weil ihm schon lange keiner mehr zuhört.

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„Seneca“ ist eine bittere Farce, die viele Parallelen zu Diktatoren und Opportunisten der Jetzt-Zeit zieht. Nach seinen Hollywood-Auftragsarbeiten nutzt Schwenkte seinen Nimbus inzwischen für ganz persönliche, ganz spezielle Filme, wie zuletzt „Der Hauptmann“, ein Alptraum über den Zweiten Weltkrieg. Oder jetzt dieser sehr eigenwillige Beitrag zum Philosophenkino.

Das Drama über einen einsamen Tod erhält noch eine ganz andere Bedeutung

Grandios ist das allein wegen John Malkovich, der hier in ewig langen Einstellungen ohne jeden Schnitt redet und redet. Dem Star könnte man ewig zuhören, von ihm ließe man sich auch das Telefonbuch vorlesen. Aber wie sich all diese Weisheiten dann doch nur als eitle Posen erweisen, das ist von großer Komik.

Überschattet wird der Film indes, weil dies wohl der letzte Auftritt von Malkovichs engem Freund Julian Sands ist. Der ist vor zwei Monaten von einer Bergwanderung nicht zurückgekommen und wird seither vermisst. Das Drama über den einsamen Tod eines Mannes erhält ungewollt noch eine ganz andere Bedeutung.

Farce D/Marokko 2023 112 min., von Robert Schwentke, mit John Malkovich, Geraldine Chaplin, Julian Sands, Mary-Louise Parker, Lilith Stangenbert, Tom Xander, Louis Hofmann, Wolfram Koch, Samuel Finzi.