Klassik

Konzerte mit heilender Kraft der Musik

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Matthias Nöther
Robin Ticciati ist Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin.

Robin Ticciati ist Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Robin Ticciati und sein Deutsches Symphonie-Orchester Berlin starten das Festival „Music and Healing“ in der Philharmonie.

Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin startet unter seinem Chefdirigenten Robin Ticciati ein über zehn Tage sich erstreckendes, ungewöhnliches Unternehmen: Das Festival „Music and Healing“ vereint bis zum 26. März vier Konzerte in der Philharmonie und zwei kleine Symposien im Musikinstrumenten-Museum. Die heilende Kraft der Musik soll da auch aus medizinischer und psychologischer Perspektive beleuchtet werden – nicht, wie längst an allen erdenklichen Hochschulen und Kliniken üblich, ergebnisorientiert, in wissenschaftlichen Fachkreisen und im Dienst von Gesundheit und medizinischem Fortschritt, sondern für das breite Publikum.

Das erste Konzert der Reihe seinerseits greift einen derzeitigen Trend von Orchestern auf: Stücke aller erdenklichen Epochen und Kulturen bunt zu durchmischen, miteinander zu durchsetzen. Andere Orchester und Konzerthäuser wollen mit solcher Programmgestaltung immerhin das an Ideenarmut und Konservatismus dahinsiechende und von Marketing verseuchte Klassikleben heilen. Das DSO ist da vielleicht schon einen Schritt weiter. Es hat an diesem Abend ein auffällig junges Publikum versammelt, das bereits bei dem anfänglichen Stück des jüngst verstorbenen britischen Avantgarde-Komponisten Harrison Birtwistle seiner Begeisterung bestens Ausdruck verleiht.

Dabei ist Birtwistles „Panic“ für Altsaxophon, Jazz-Schlagzeug und Orchester starker Tobak. Asya Fateyeva darf mit ihrem Altsaxophon offensiv singen, wiewohl sie damit niemanden musikalisch anschreien muss. Martin Frink am Schlagzeug lässt seine Kaskaden krachen, darf dazwischen aber auch mal leise jammen. Das Orchester darf sich zwischen diesem ausdrucksstarken Dialog bewegen. Die Aufmerksamkeit bleibt bei der klar und fokussiert spielenden Saxophonistin. Es ist trotzdem ziemlich lärmig und trotz der prägnanten Rhythmik schwer durchhörbar. In Hinblick auf Heilung wäre das wohl unter Schocktherapie einzuordnen.

Es ist eine wichtige Kunst, zwischen Stücken eine Brücke zu bauen

Der Bruch zu dem Stück „Semper Dowland, semper dolens“ aus dem Jahr 1604, für eine Streichergruppe des DSO arrangiert, ist krass, aber oberflächlich. Tatsächlich erzielen zur Zeit viele Programmgestalter mit solchen Brüchen einen Effekt bei einem Publikum, das historische Konnotationen bestimmter Musik nicht mehr kennt. Doch ein solcher Effekt wird sich auch in dieser Art von Programmen abnutzen. Eigentlich ist ja die Kunst, zwischen Stücken, die nichts miteinander zu tun haben, subtile Brücken zu bauen. Dass Dowland laut Titel zeitlebens irgendwie gelitten hat, macht eine solche Brücke noch nicht aus.

Doch da ist glücklicherweise der Ton der Saxophon-Solistin, einen Bezug zum übernächsten Stück baut: Es ist eine Brücke zum einsätzigen Cellokonzert „Schelomo – Hebräische Rhapsodie“ des schweizerischen, in die USA emigrierten Komponisten Ernest Bloch. Er verwendet zwar keine Weisen aus dem jüdischen Kulturraum, doch man spürt das Religiöse namentlich im Klang des Cellos, dem Nicolas Altstaedt mit wehendem schwarzen Gewand und voluminösem Ton zum Singen verhilft.

Das eigenwillige Programm wird dadurch geadelt, dass Ticciati und das DSO nicht bei originellen Ideen stehenbleiben. Zwar ist auch Strawinskys moderner Ballett-Klassiker „Le sacre du printemps“ zwischen seinen Abschnitten von Solo-Ton durchsetzt – in Gestalt des Obertonsängers Gareth Lubbe –, aber die Interpretation der einstigen Skandal-Ballettmusik hat bei Ticciati und seinen Musikern so einen Zug und ungewöhnlich scharfe Konturen, dass man am Schluss dieses Abends bereit ist, sich auch von schmerzhaftesten Dissonanzen heilen zu lassen.