Die Musik-Performance „Hide to Show“ lässt ihn nicht sofort erkennen, den großen Einschnitt, der die diesjährige Eröffnung des MaerzMusik-Festivals markiert. Auf den ersten Blick ist am Freitag alles beim Alten: der feierliche Auftakt im Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße, Begleitprogramm mit Ausstellungen, Diskurs- und Nachwuchsformaten, auch die Spielorte sind bekannt: Philharmonie, Radialsystem, Elisabeth-Kirche, das Savvy Contemporary, das Silent Green im ehemaligen Weddinger Krematorium.
Doch vieles deutet darauf hin, dass es ab dem diesjährigen Festival anders wird. Es ist die erste Ausgabe, die Kamila Metwaly als Künstlerische Leiterin nach einem Jahr des Übergangs im Duo mit Berno Odo Polzer, der das Festival 2022 nach sieben Jahren verließ, allein verantwortet. Polzer hatte die MaerzMusik zum „Festival für Zeitfragen“ erklärt, ein dichtes Programm Neuer Musik präsentiert und mit Ausstellungen, Filmen, Workshops, Gesprächsformaten und Begleitpublikationen gerahmt. Im Fokus stand, was Musik mit der Zeit macht, vom Moment der Aufführung bis zu ihren geschichtlichen Zusammenhängen.
Die neue MaerzMusik verzichtet nicht nur auf einen programmatischen Untertitel. Sie fächert ihren Blick auf, von musikalischen Zeitfragen auf Fragen nach ihren Räume und Herkünften. Besonders sichtbar wird die Veränderung durch die Kontinuität des Wandels. Kamila Metwaly, in Warschau geboren und in Kairo aufgewachsen, wirkte bereits in früheren Ausgaben bei MaerzMusik mit. Dabei legte sie Fährten in die außereuropäische, in die afrikanische und arabische Vergangenheit der Musik. Zuvor hatten Metwaly ihre ersten Schritte in der Berliner Kultur am Savvy Contemporary gemacht, jenem MaerzMusik-Spielort, der bis vor kurzem von Bonaventure Ndjkung geleitet wurde, dem heutigen Chef des Haus der Kulturen der Welt.
Die globalen Veränderungen spiegeln sich im Festivalprogramm
Die Berufung von Kamila Metwaly gibt den Spielorten eine andere Bedeutung, kehrt die bisherige Perspektive um. Kam bislang die Hochkultur an die kulturellen Ränder der Stadt, wenn das Festival an der B 96 spielte, kommen die Ränder der Stadt nun in ihre Mitte, in die Hochkultur, und mit ihnen diejenigen, die abseits des Mainstreams neue kulturelle Orte gegründet und künstlerische Ansätze geprägt haben, die die europäische Kunst, Musik und ihre Räume aufbrechen, wie Kamila Metwaly.
Ihre Berufung macht konkret, was ihr Chef, der ebenfalls neue Intendant der Berliner Festspiele Matthias Pees, meint, wenn er benennt, welche Fragen zu untersuchen ihn in der Arbeit der Festspiele interessiere: die verschärften ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, von der Klimakrise bis zu den großen Migrationsbewegungen vom globalen Süden nach Europa.
Auch wenn das diesjährige Programm erst die Anfänge dieser Veränderung spiegelt, viel haben sie sich vorgenommen für den Neustart der MaerzMusik. Vor allem Zeitnot trug dazu bei, nicht die gewohnte Zahl von Uraufführungen (in diesem Jahr nur fünf) präsentieren zu können, zudem Verschiebungen aus der Corona-Zeit sowie eine verkürzte Vorbereitung. Ein wenig davon mag auch in die Teamarbeit geflossen sein, die mit der Einladung an den deutschen Komponisten und Dirigenten Enno Poppe als Gastkurator verbunden war.
Die Performance „Hide to Show“ bindet verschiedene Künste ein
Darin liegt eine weitere Schwerpunktverlagerung des Festivals von der Zeit auf die Räume, die sie umgeben. Das Eröffnungsstück vom Freitagabend zog die geografischen Linien der neuen MaerzMusik auch um den virtuellen Raum, seine Wirkung auf unsere Wirklichkeit und die Möglichkeiten, ihn abzubilden. Die Musik-Performance „Hide to Show“ des deutschen Komponisten Michael Beil aus instrumentalen und elektronischen Klängen, Video- und Tonschleifen, aufgeführt vom belgischen multi-instrumentalistischen Nadar-Ensemble, bindet alle Künste ein, von Film, Video, Theater, installativen Elementen und natürlich neuer und elektronischer Musik.
„Hide to Show“ versucht nicht, seine Botschaft zu verstecken, dass das Internet mit seiner Behauptung von Gemeinschaft das Alleinsein manifestiere und mit der Illusion von Sichtbarkeit Unsichtbarkeit produziere. Die songartige Einteilung der Komposition ist von Kurztexten durchsetzt, die Redundanz und Wiederholung zum Strukturelement der Performance machen: „Online is the new alone“, „Videz-moi“, „I will always be your network“.
Ineinander verwebte Klangteppiche werden von konzentrierteren musikalischen Passagen abgelöst und wieder zusammengeführt, während die Musiker neben ihrem Spiel damit beschäftigt sind, sich abwechselnd zu zeigen und hinter Jalousien zu verschwinden. Diese Rouleaus bedienen sie selbst, bis Video- und Bühnenebene sich so sehr überlagern, dass Aufzeichnung und Aktion nicht mehr zu unterscheiden sind.
Der Weg der Musikperformance führt von der kritischen Befragung der Selbstdarstellung zur heiteren Selbstdarstellung in 60 Minuten. Als Reflexion und Reproduktion überlappen und so die Botschaft ad absurdum geführt zu werden droht, endet „Hide to Show“ mit der Parodie einer K-Pop-Gruppe, jener koreanischen Musikrichtung, die ohne das Internet vermutlich unerklärlich, womöglich sogar nie entstanden wäre. Eine fidele Einsicht in die Aussichtslosigkeit digitaler Räume und ein augenzwinkernder Auftakt für neue künstlerische Zeiten.
Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Wilmersdorf. Tel. 25489100 „MaerzMusik“ bis 26.3. berlinerfestspiele.de/tickets