Kabarett

Das Herz der Macht schlägt auf der Bundestagstoilette

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Ulrike Borowczyk
Das Kabarett Distel zeigt Szenen aus dem Bundestagsklo.

Das Kabarett Distel zeigt Szenen aus dem Bundestagsklo.

Foto: Chris Gonz

Die irrsinnigen Erfahrungen des Bundestagsnovizen Horst-Kevin im neuen Distel-Programm „Im Hinterzimmer der Macht“.

Bundestag-Novize Horst-Kevin ist perplex. Er wollte wissen, wo das Herz der Macht schlägt – und findet sich auf der Bundestagstoilette wieder. Der einzige Raum ohne Kameras. Wie gemacht für Absprachen und daher das Epizentrum der deutschen Politik, weiß ein ergrauter, alter Hase. Der hatte in seiner ersten Legislaturperiode noch wie Horst-Kevin den Traum, etwas für die Wähler zu erreichen. Was das politische System aber erfolgreich verhindert, wie er erklärt. Der Bundestag solle sich um alle Belange kümmern, schere sich aber nicht um die Kompetenzen seiner 736 Mitglieder. Zumal nur ein Bruchteil der Abgeordneten je einen Beruf von innen gesehen habe. Sein Fazit: Im Bundestag gibt es keinen Fachkräftemangel, sondern eine Fachkräfteverpuffung.

Physiker Horst-Kevin landet im Ausschuss für alternative Zahnmedizin. Geschenkt, das sein kostbares Fachwissen dort brachliegt. Aber er kämpft im neuen Kabarett-Programm der Distel „Im Hinterzimmer der Macht“ für sein Anliegen. Pfiffige Energiegewinnung durch Kompost und Gülle. Natürlich scheitert er auf urkomische Art in der „schwindeligen Bundestags-Revue“ aus der Feder des Autoren-Duos Onkel Fisch. Schließlich hätte ein schnelles, kostengünstiges Konzept zur Klimarettung wohl auch im realen Leben kaum eine Chance, ungeschoren durch alle politischen Gremien zu kommen.

Pointiert inszeniert von Sebastian Wirnitzer und musikalisch rasant begleitet von Falk Breitkreuz sowie Tilman Ritter, zeigt sich auf dem Stillen Örtchen vor 13 Klodeckeln der ganze Irrsinn des Polit-Zirkus auf ungehemmte, ungefilterte Weise. Caroline Lux, Jens Neutag und Stefan Martin Müller, alternierend mit Timo Doleys, schlüpfen dafür im fliegenden Wechsel in die Rollen von selbstherrlichen Ministern, abgebrühten Polit-Geiern und fassungslosen Hinterbänklern. Und führen auf herrlich böse Weise vor, welche machtbesessenen, abgehobenen, überprivilegierten und hoch bezahlten Politiker uns regieren. Zudem suchen Lobbyisten immer wieder als schillernde Schmeißfliegen die Feuchträume heim. Vorzugsweise auf der Suche nach Christian Lindner. Sie sind aber auch jederzeit bereit, anderen Parlamentariern prall gefüllte Umschläge zu überreichen.

Karl Lauterbach findet sich in dem bizarren Panoptikum wieder

In diesem bizarren Panoptikum darf Karl Lauterbach selbstredend nicht fehlen. Der medienaffine Twitter-Experte erweist sich dabei einmal mehr in der Theorie als Ass. Als Praktiker ist er jedoch ein Loser. Richtig bitter wird es, wenn Politiker nicht mal wissen, worüber sie streiten. Atomausstieg oder Tempolimit? Es ist ohnehin out, über akute Themen zu debattieren. Eine mieser Kuhhandel reicht, damit jeder siegreich sein Gesicht wahren kann. Verlierer sind die Bürger.

Ganz neu ist die satirische Idee der Toilette als Hinterzimmer der Macht nicht. Die Stachelschweine landeten bereits vor rund anderthalb Jahrzehnten mit ihrem Programm „Besetzt – Szenen aus dem Bundestagsklo“ einen Hit. Auch jetzt dürften die teils explosiven Begegnungen für reichlich Publikumszuspruch sorgen, denn auf dem WC werden nicht nur Allianzen geschlossen. Hier werden vor allem Konflikte und Zerwürfnisse ausgelebt. Aktiv, wenn Stefan Martin Maier als rothaarige Wuchtbrumme in feministischem Lila einen AfD-Abgeordneten niederringt. Oder passiv-aggressiv, wenn sich ein Ausschuss vor der AfD versteckt. In jedem Kindergarten geht es geordneter und zivilisierter zu. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Distel, Friedrichstr. 101, Mitte. Tel. 2044704 Termine: 18. und 25.3. um 16,30 und 20 Uhr, 21.-24.3. um 19,30 Uhr, 22.3. auch 15 Uhr