„Ich komme zurück und hole dich“, hat die junge Mutter So-young (Lee Ji-eun) auf den Zettel geschrieben, mit dem sie ihren wenige Monate alten Sohn Woo-sung vor der Babyklappe ablegt. „Das sagen sie alle, und kommen dann doch nie mehr“, knurrt Sang-hyeon (Song Kang-ho), der sich liebevoll um das Baby kümmert. Er weiß, wovon er spricht.
Mit dem jüngeren Dong-soo (Gang Dong-won) betreibt Sang-hyeon, Besitzer einer kleinen Wäscherei und geschiedener Familienvater mit Spielschulden, ein Seitengeschäft als illegaler Adoptionsvermittler. Dong-soo wuchs selbst im Waisenhaus auf, deshalb ist er der Meinung, dass es für Babys besser sei, auf dem Schwarzmarkt an Adoptiveltern verkauft zu werden, als in einem Heim groß werden zu müssen. Ihrem rechtswidrigen Tun gehen sie deshalb mit kaum einen Hauch von schlechtem Gewissen nach.
Babys „vermakeln“ als Geschäftsmodell
Dass die beiden auf den ersten Blick so sympathischen Männer Kriminelle sind, eröffnet der japanische Regisseur Hirokazu Kore-eda, der in „Broker - Familie gesucht“ erstmals mit einem südkoreanischen Ensemble dreht, dem Zuschauer auf andere Weise: Von Anfang an zeigt die Kamera im Parallelschnitt, wie das Treiben um die Baby-Klappe von zwei Polizistinnen beobachtet wird.
Soo-jin (Bae Doona) und ihre jüngere Kollegin Lee (Lee Joo-young) wollen die Täter in flagranti erwischen, in dem Moment, wenn das Baby gegen Geld getauscht wird. Sie haben einen Plan dafür, aber es wird sich zeigen, dass im Leben oft genau das schief geht, was bestens geplant scheint.
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Das gilt aber auch für die Verbrecher. Denn schon am nächsten Tag kehrt die Mutter So-young zurück und will ihr Baby wiederhaben. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sie in ihren Geschäftsplan einzuweihen und sie zur Teilhaberin zu machen. So begibt sich das ungleiche Trio mit Baby auf einen Roadtrip, um mit interessierten Eltern zu verhandeln. Gleich das erste Treffen läuft völlig aus dem Ruder, weil der leiblichen Mutter nicht passt, wie die potenziellen Adoptiveltern an den angeblich zu dünnen Augenbrauen ihres Babys Anstoß nehmen.
Sämtliche Parteien, auch die observierenden Polizisten, erleben einen Rückschlag. Die „Baby-Makler“ indes lernen auf ihre Weise daraus und finden zu mehr Offenheit untereinander. Als sich ihnen nach einer Übernachtung in Dong-soos altem Heim mit dem achtjährigen Hae-jin ein Waisenjunge anschließt, entwickeln sich Familiendynamiken, die von keinem Gesetz mehr zu stoppen sind.
Ein paar verkrachte Gestalten, die bei einem Roadtrip zur Ersatzfamilie zusammenwachsen – das Genre glaubt man zu kennen. Doch Kore-eda lenkt seinen Film gerade dann in eine andere Richtung, wenn man genau zu wissen meint, was kommt. Nach und nach stellt sich heraus, dass fast jede Figur neben dem gemeinsamen Plan noch etwas anderes im Schilde führt.
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Nicht nur bei der bunten Truppe der „Baby-Makler“, wo sich zeigt, dass So-young eventuell nicht so unschuldig ist, wie man erst denkt. Sondern auch bei den zwei Polizistinnen, die ihre Einstellung zu Müttern, Mutterschaft und Adoption überdenken müssen.
Familie ist, wo man im Dunkeln sprechen darf
„Ich habe den Eindruck, du bist am Verkauf des Babys mehr interessiert als die Makler selbst“, wirft die jüngere Lee ihrer Vorgesetzten einmal vor, als die mit Übereifer die nächste Baby-Übergabe arrangieren will. Warum der Satz die taffe Soo-jin so trifft, kann sich der Zuschauer selbst erschließen.
Die Komplexität von Familienverhältnissen jenseits von Blutsverwandtschaft ist ein Lieblingsthema von Kore-eda. Diesmal räumt er ihm überraschend viel Raum in den Gesprächen ein. Zu den schönsten Szenen des Films gehört, wenn die zwei Männer, die Mutter, der Waisenjunge und das Baby sich alle gemeinsam in einem Hotelzimmer zum Schlafengehen rüsten. Familie ist, wo man im Dunkeln sprechen darf.
Drama Südkorea 2022, 129 min., von Hirokazu Kore-eda, mit Song Kang-Ho, Dong-won Gang