Das Budapest Festival Orchestra tritt in der Philharmonie auf. Es ist eine Ausnahmeerscheinung, und das können Berliner ganz gut beurteilen. Ein Wiedersehen gibt es hier nicht nur mit dem Ex-Konzertmeister der Berliner Philharmoniker Guy Braunstein, der diese Funktion jetzt bei den Budapestern erfüllt. Ein Wiedersehen ist es auch mit Iván Fischer. Seine durchaus von Inspiration getragene, bis heute fortdauernde Zusammenarbeit mit dem Berliner Konzerthausorchester wirkt indes an diesem Abend wie preußisches Musikbeamtentum im direkten Vergleich mit dem Feuer, das der Dirigent bei seinen Budapestern entfacht.
Nun, bei einer selten gespielten Musik wie den „Symphonischen Minuten“ op. 36 des Ungarn Ernst von Dohnányi – der hochbetagte Enkel und Ex-Spitzenpolitiker Klaus von Dohnányi sitzt ebenfalls im Publikum – fällt der direkte Vergleich schwer. Doch die Eleganz und Raffinesse, mit der diese kurzen tänzerisch-lyrischen Stücke erklingen, hat etwas mit dem spezifischen Musizierverständnis in der einstigen Donaumonarchie zu tun – mit einem innerlich gelebten, auf die Lebenswelt übertragenen musikalischen Grundgefühl.
Die Budapester mit prägnant hervorspitzenden Bläsern betten alles in einen weichen Grundklang ein, als würden sie sich ständig auf ihren Stühlen zurücklehnen – was sie bei weitem nicht tun. Vielmehr gehört zu dieser spezifischen Mischung in den fünf kurzen, melodieseligen und doch modernen Sätzen auch ein bedingungslos akkurates Zusammenspiel hinzu. Es ist die Leichtig- und Selbstverständlichkeit solcher Orchestertugenden, die einen aufhorchen lässt.
Jeder lyrische Seitengedanke singt aus dem Klavier heraus
Rudolf Buchbinder, ein Ausnahmepianisten seit Jahrzehnten, ist man versucht, mit verschränkten Armen zu empfangen: Welche Ideen kann ein 76-Jähriger aufzubieten haben, um das durchgenudelte Klavierkonzert a-Moll von Robert Schumann noch mit Leben zu füllen? Aber der Solist lässt dem Publikum mithilfe Fischers und seiner Band einfach keine Chance zur Langeweile. Jeder lyrische Seitengedanke singt aus dem Klavier, keine hämmernde Oktavkaskade gerät aus dem Ruder. Einer der heimlichen Höhepunkte des Abends ist Buchbinders Zugabe: das Impromptu As-Dur op. 90 von Schubert ist – mit aller Virtuosität und abgrundtiefem Schmerz in seiner Mitte – nicht gerade ein sehr bequemes Stück für den Interpreten.
Man hätte natürlich vom Budapest Festival Orchestra ein spezifischeres, origineller ausgedachtes Programm gehört als dieses reine Tourneeprogramm, das in der zweiten Hälfte zwei Sinfonische Dichtungen von Richard Strauss bringt und seinen „Tanz der sieben Schleier“ aus der Oper „Salome“. Doch auch die riesig besetzten Strauss-Hits „Don Juan“ und „Till Eulenspiegel“ gewinnen dank Iván Fischer ein erzählerisches Vorwärtsdrängen, die man gerne viel öfter hören würde. Die Budapester Innigkeit der musikalischen Haltung, sie bleibt dennoch erhalten.