Komische Oper

Serebrennikow: Der Krieg macht alles ganz einfach – primitiv

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Matthias Nöther
Der russische Opernregisseur Kirill Serebrennikow in der Komischen Oper.

Der russische Opernregisseur Kirill Serebrennikow in der Komischen Oper.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Der russische, oppositionelle Regisseur Kirill Serebrennikow probt Mozarts „Cosi fan tutte“ an der Komischen Oper.

Es ist vielleicht ein spezieller Stil der Theateroppositionellen in russischen Metropolen: Regisseur Kirill Serebrennikow betritt das Foyer der Komischen Oper mit zahlreichen Ohrpiercings, einer großdimensionierten Plastikbrille, einer knallgelben Mütze und gemessenen Schrittes. Politisch-künstlerische Opposition und Personalstil sind bei ihm längst in eins geflossen – sie ergeben allerdings nicht das Klischee eines Theaterpunks, sondern in Kombination mit seiner ruhigen Stimme das Bild eines wachen, hellsichtigen Künstlers. Die wenigen Worte zur Begrüßung sagt er in akzentfreiem Deutsch, dann wechselt er ins Englische.

Ob er sich in Berlin sicher fühlt? Freundliche Gegenfrage: „Fühlen Sie sich sicher in der Klimakrise?“ Trotzdem liegt die Frage nahe. Man muss da nicht den Tiergarten-Mord an einem Georgier bemühen. Es ist mittlerweile schon oft vorgekommen, dass Oppositionelle etwa aus Russland, der Türkei oder dem Iran von Regierungsschergen ihres Heimatlandes auch im westeuropäischen Exil Drohungen erhielten. Und auch Serebrennikow hat den langen Arm der russischen Regierung längst zu spüren bekommen – nicht zuletzt im Rahmen genau dieser Inszenierung, die der 53-Jährige nun an der Komischen Oper erarbeitet.

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Die Produktion von Wolfgang Amadeus Mozarts Komödie „Così fan tutte“ entstand ursprünglich für das Opernhaus Zürich – und die Arbeitsweise, die Serebrennikow dabei von den Behörden seiner russischen Heimat aufgezwungen wurde, erregte in der westlichen Kunstszene viel Aufmerksamkeit: Der internationale Theatermann war in Moskau 2017 unter Hausarrest gestellt worden. Von seiner Moskauer Wohnung aus inszenierte er seine Züricher „Così“ per Zoom, vor Ort in der Schweiz wurde die Arbeit von seinem angereisten Assistenten beaufsichtigt.

Bei Mozart werden die Hauptfiguren in einen erfundenen Krieg geschickt

Serebrennikow ist in der Hauptstadt derzeit sehr präsent: Auch sein in Cannes ausgezeichneter Film „Petrov’s Flu“ läuft zur Zeit in Berliner Kinos. An der Komischen Oper wird Serebrennikow in den kommenden Spielzeiten alle drei Opern Mozarts nach Texten Lorenzo Da Pontes inszenieren, neben „Così“ auch „Don Giovanni“ und „Figaros Hochzeit“. Doch schon in „Così fan tutte“, eigentlich vor dem Ukraine-Angriff Russlands entstanden, geht es viel um Krieg: Serebrennikow legt einen Akzent auf den Umstand, dass die beiden Liebhaber des Stückes, Guglielmo und Ferrando, als vorgebliche Soldaten in einen erfundenen Krieg geschickt werden – eine Täuschung, um die Treue der zurückgebliebenen Frauen Dorabella und Fiordiligi auf die Probe zu stellen. Dass die Frauen sehr schmerzhaft damit rechnen müssen, dass ihre Männer nicht wiederkehren – die Grausamkeit dieser Finte ist sicher nicht allen Mozart-Liebhabern immer bewusst.

Serebrennikow ist nicht zuletzt fasziniert von dem feinen psychologischen Spiel, das sich aus dieser Grausamkeit ergibt. Denn die Grausamkeit allein ist ja in seinen Augen die wahre Normalität – wie für die meisten Bürger Russlands: „Wie lange hat Nazi-Deutschland seine Einwohner auf einen Krieg vorbereitet? Sechs Jahre.“ Der Angriff auf die Ukraine dagegen, gibt Serebrennikow zu bedenken, sei seit zwanzig Jahren propagandistisch eingefädelt worden und Krieg im Bewusstsein vieler Russen längst der Normalzustand.

Die Komplexität des Lebens soll in der Oper bewahrt werden

Mozart, so Sebrennikow, zeige das Andere des Krieges: „Der Krieg macht alles ganz einfach – primitiv. Alles ist schwarz-weiß: Entweder du wirst getötet oder du tötest jemand anderen. Aber hier, in den psychologischen Beziehungen, die die Musik ausformuliert: Da wird es kompliziert, und das ist ein großer Wert.“ Mozart, so Sebrennikow, stelle Fragen, die auch in unserer widersprüchlichen Gegenwart Relevanz hätten: „Was heißt es heute, männlich oder weiblich zu sein? Mozart gibt einen Einblick in die komplizierte psychologische Seelenlandschaft der Menschen. Und gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, diese Komplexität nicht zu vergessen.“

Glaubt er, dass er dies auch irgendwann in seiner Heimat wieder zeigen kann? Serebrennikow wuchs in Rostow am Don auf – sein 90-jähriger Vater lebt bis heute in der Stadt nahe der derzeitigen Frontlinie im Donezk-Becken. Sie telefonieren jeden Tag – doch Serebrennikow macht sich keine Illusionen: „Bis das Gift dieser Propaganda sich aufgelöst hat, wird es lange dauern – Jahrzehnte vielleicht.“ Er ist froh, dass dennoch in Moskau immer noch Produktionen von ihm laufen – wenn auch die Namen aller ausgereisten Künstler aus den Programmen gelöscht wurden. Aber: „So können die Menschen wenigstens im Theater normale Luft atmen – ohne das Gift der Propaganda.“

Im Probenbetrieb der Komischen Oper fühlt sich Serebrennikow bestätigt, dass der Umgang zwischen Angehörigen ganz verschiedener Nationalitäten sehr friedvoll und konstruktiv sein kann. Denn Mozart zeige einerseits komplizierte psychologische Situationen – andererseits, so Sebrennikow, mache seine Musik das Zwischenmenschliche ganz einfach. Proben mit Sängerinnen und Sängern aus Deutschland, Polen, dem Iran, der Türkei, der türkischen Community in Deutschland und Israel – alles für Mozarts bezaubernde Partitur von „Così fan tutte“. Das wird, so sagt Kirill Sebrennikow, ihm von der Arbeit hier in Erinnerung bleiben.