Weltfrauentag

Hedwig Dohm und der neue Antifeminismus

| Lesedauer: 10 Minuten
Susanne Leinemann
Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (1881-1919).

Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm (1881-1919).

Foto: akg-images / picture-alliance

Die Frauenrechtlerin hat viel für die Gleichberechtigung getan. Viele ihrer Impulse scheinen heute vergessen. Ein Essay.

Schon mal von „Antifeminismus“ gehört? In letzter Zeit gab es um dieses Wort einige Aufregung, weil eine politische Stiftung – die Amadeu-Antonio-Stiftung, die auch durch staatliche Gelder unterstützt wird – eine „Meldestelle Antifeminismus“ ins Netz gestellt hat. Bei dieser Meldestelle kann man jeden Vorfall anzeigen, den man in einem sehr weit gefassten Sinne als diskriminierend empfindet – und zwar, wie betont wird, als Frau, Queer- oder Transperson.

Die Meldestelle gibt auch Handreichungen, was man so alles melden könnte: Dazu gehört das lesbische Paar, das öffentlich beschimpft und bedroht wird, genau wie eine Stadtratssitzung irgendwo in der deutschen Provinz, in der die „Abschaffung der Stelle der Gleichstellungsbeauftragten“ beantragt wird. Denn: „Antifeminismus ist eine antidemokratische Ideologie, die oft als Brücke zu anderen demokratiefeindlichen Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus dient.“ Wer also in seinem Stadtrat beantragt, diese Beauftragtenstelle einzusparen, muss nun damit rechnen, am Pranger mit Rechtsextremen und Antisemiten zu stehen. Oha!

„Antifeminismus“: „Kultur der Denunziation“

Die mediale Empörung ließ nicht lange auf sich warten, von einer „Kultur der Denunziation“ war die Rede, von einem „Pranger“ oder – wie die NZZ schrieb – einem „Problem für die Demokratie“. Denn es ist eine Sache, konkrete strafbare Übergriffe zu dokumentieren, deren Aufklärung aber dann Aufgabe der Polizei ist. Etwas völlig anderes ist es, Meinungen anderer Menschen anzuschwärzen, nur weil sie nicht ins eigene Weltbild passen. Wo Straftaten und Meinungen, brutale Angriffe und Polemik plötzlich auf einer Stufe stehen, droht das Ganze zur Farce zu werden. Und schon länger umgibt den deutschen Feminismus eine sektenhaften Strenge, die auch viele Frauen irritiert. Wer sich in bestimmten Milieus nicht an die neuen Sprachregeln hält, bekannt als „Gendern“, droht als Person moralisch in Frage gestellt zu werden. Dann entlädt sich der Zorn in sozialen Medien, es wird gebasht und gecancelt.

Ob das Hedwig Dohm gefallen hätte? Die Berliner Frauenrechtlerin hat nämlich das Patent auf das Wort „Antifeminist“. Vor fast genau 120 Jahren hat sie das Wort salonfähig gemacht, in ihrer Schrift „Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung“. Darin versucht sie differenzierte Charakterbeschreibung der Männer, die sich der Emanzipation von Frauen entgegenstellen. Dohm, eine Mutter von fünf Kindern, hatte einen scharfen, entlarvenden Blick aufs andere Geschlecht. Sie schreibt in einer Zeit, in der Frauen noch nicht wählen durften, ein Universitätsbesuch nur in Ausnahmefällen möglich war und Mädchen der Zugang zum Gymnasium noch verwehrt war.

Weltfrauentag: Auch Zugänge in einstige Männerbastionen sind vorhanden

Es sind entscheidende Jahre damals am Beginn des 20. Jahrhunderts, denn die Zugänge zur beruflichen und öffentlichen Welt beginnen sich in der Zeit für Frauen zu öffnen. Das, wogegen Hedwig Dohm ankämpft, ist sehr klar und sehr konkret. „Gegen welchen Mann?“, fragt sie. „Doch nur gegen denjenigen, der meine Entrechtung für alle Ewigkeit festhalten will.“

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Man kann heute, zum Weltfrauentag, sagen, Hedwig Dohm und ihre Mitstreiterinnen haben diesen Kampf gewonnen. Nicht überall auf der Welt, bei weitem nicht, aber doch in Ländern wie Deutschland. Grundsätzlich sind zumindest bei uns alle Zugänge da, auch hinein in ehemals feste Männerburgen wie das Militär oder den Fußball. Und als ich neulich in Moabit an einem Laster vorbeikam, dessen Fahrer mit schwerer Kranmaschinerie die übervollen Glas-Container anhob und entleerte, da sah ich, dass dieser Fahrer im Blaumann eine Fahrerin war, eine junge Frau, die sehr souverän diese Schwerlasten über das Trottoir schweben ließ. Und ein kleiner Junge blieb an der Hand seiner Mutter stehen und schaute fasziniert zu. Da dachte ich, besser kann es nicht laufen. Das Bild bleibt haften.

Denn ich glaube an die Macht der Realität, der Erfahrungen, der Bilder. Ich brauche keine Sternchen und Doppelpunkte in Wörtern, keine großen „I“-Binnenbuchstaben (wie bei LehrerInnen) oder gezwungen und gespreizt wirkende Verlaufsformen, um Frauen mitzudenken: Die Laufenden ruhen sich gerade vom Laufen aus, sind also gar nicht laufend unterwegs, solche Beispiele für logische Purzelbäume ließen sich endlos aufreihen.

Gendern: Wer bei Studenten nur an Männer denkt, sollte eine Universität besuchen

Ich brauche diese Verrenkungen nicht, weil ich, wenn ich mir etwa ein Lehrerzimmer vorstelle, dort immer Frauen und Männer sitzen sehe. Und kommt die Arztvisite um die Ecke, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich im Pulk beide Geschlechter finden. Die Flugbegleiter, die Pflegekräfte, die Richter, die Erzieher, überall in solchen Berufen sind Männer und Frauen heute die Regel. Und warum bitte soll das Wort „Studierende“ Frauen besser mitdenken als Studenten? Wer sich halt bei „Studenten“ nur einen Hörsaal voller junger Männer vorstellen kann, dem hilft auch „Studierende“ nicht. Der sollte einfach mal eine Universität im Jahre 2023 besuchen.

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Natürlich merke ich bei jungen Kolleginnen und auch Kollegen, dass sie häufig bei der Sprache anderes empfinden. Der gute alte Materialimus lehrte: Das Sein schafft das Bewusstsein. Die neuen Feministen unserer Tage drehen das um: Das Bewusstsein schafft das Sein – wenn wir nur konsequent genug gendern, wird alles gut. Und so kommt ihnen nichts über die Lippen, was nicht hyperkorrekt alle Geschlechter mitdenkt; Frauen, Männer und alles dazwischen. Im Grunde ist es magisches Denken. Sprachmagie verändert die Welt. Wenn wir stets kleine Kunstpausen in die Wörter einbauen – den kleinen Stolperer: Genoss – Pause – Innen – dann wird die Welt so, wie wir sie uns wünschen.

Was würde Hedwig Dohm dazu sagen? Vermutlich würde sie sich über ihre fundamental-feministischen Urenkelinnen wundern. „Gleichgültig, ob ich Mann, Weib oder Neutrum bin – das Geschlecht ist Privatsache“, schrieb sie 1902, „vor allem bin ich Ich, eine bestimmte Individualität, und mein menschlicher Wert beruht auf dieser Individualität.“ Genau das hat sich radikal geändert. Das Geschlecht schon lange keine Privatsache mehr, sondern ein weltanschauliches Schlachtfeld. „Denn für Antifeminist*innen gibt es nur zwei Geschlechter: Frauen und Männer, so will es die Biologie, Ende der Diskussion“, heißt es von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Hier spricht man vom „sozialen Geschlecht“. Mädchen, Junge, alles nur konstruierte Ideen. „Alles nur in meinem Kopf“, singt Andreas Bourani. Das trifft dieses Weltbild ganz gut.

Der Streit um Sprachsternchen ist ein Wohlstandsproblem

Gleichzeitig macht die Welt dort draußen zunehmend mit großer Eindeutigkeit klar, dass der Streit um Sprachsternchen ein reines Wohlstandsproblem sind. Wer in Berlins Ankunftszentrum schaut, der sieht, es sind überwiegend die Frauen, die mit ihren Kindern aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen sind. Es sind meist die Männer, die geblieben sind, um zu kämpfen. In diesem Krieg wird die Geschlechterfrage wieder ziemlich eindeutig. Die Demonstrationen im Iran haben gezeigt, dass auch dort Frauen selbstbestimmt leben wollen, ihre Sittsamkeit nicht mehr von Moralwächtern verordnet bekommen möchten, sondern selbst die Entscheidung treffen wollen, ob sie mit oder ohne Kopftuch leben. Das männliche Mullah-Regime knüppelte die Proteste nieder, foltert und mordet bis heute. Und in Afghanistan ist inzwischen den Mädchen und jungen Frauen jeder Zugang zur Bildung wieder verwehrt. Da sind wir wieder bei den Kämpfen der Feminismus-Pionierinnen wie Hedwig Dohm, die die „niedrigen Schulstuben“, die „fürchterliche Luft“ und die Dunkelheit der damaligen Mädchenschulen beschrieb.

Es ist das fünfte Mal, dass Berlin den Internationalen Frauentag als Feiertag begeht – ein kleines Jubiläum. Was am Anfang eher wie eine hilflose Wahl wirkte, das glaubensferne Berlin hinkte bei der Zahl der traditionellen kirchlichen Feiertage im Vergleich zu anderen Bundesländern hinterher, das entpuppt sich nun mehr und mehr als eine starke Entscheidung. Denn es lohnt sich immer wieder, Bilanz zu ziehen und sich zu fragen: Wie hältst du es mit der Frauenfrage? Schaut man weltweit, gibt es noch viel zu tun.

Und auch in Deutschland verdienen Frauen weiterhin im Durchschnitt pro Arbeitsstunde 18 Prozent weniger als Männer, und bei der Rente ist die Lücke zwischen den Geschlechtern so groß wie in kaum einem anderen europäischen Land. Aber es lohnt sich auch, die Strecke zu würdigen, die schon geschafft ist. Vieles hätte sich Hedwig Dohm damals kaum träumen lassen. „In einem Aufsatz, der mir vorliegt, malt so ein hoher Herr die Zeit aus, wo der Mann verdammt sein werde, den Kochlöffel zu führen und die Kinder zu wiegen. Spaßig.“ So schreibt sie damals spöttisch. So falsch lag der „hohe Herr“ aber gar nicht. Schaut man sich morgens in Berlin um, sieht man viele Väter ihren Nachwuchs ganz selbstverständlich zur Kita und Schule begleiten. Und Mütter genauso selbstverständlich ihrer Arbeit nachgehen. Hedwig Dohm hätte es gefreut.