Neu im Kino

Es gilt das gesprochene Wort: „Der Zeuge“

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Bernd Michael Lade als Carl Schrade.

Bernd Michael Lade als Carl Schrade.

Foto: Neue Visionen

Bernd Michael Lade inszeniert ein Kammerspiel über das Grauen in NS-Konzentrationslagern.

Carl Schrade, in dessen Rolle Bernd Michael Lade in diesem Kammerspiel schlüpft, wurde 1896 in Zürich geboren und zog 1919 nach Berlin. Er hat das Gewaltsystem der nationalsozialistischen Konzentrationslager aus nächster Nähe erlebt, über einen verstörend langen Zeitraum hinweg. Wegen mehrerer Vorstrafen für Eigentumsdelikte wurde er 1934 verhaftet und als sogenannter Berufsverbrecher elf Jahre interniert, in Lichtenburg, Esterwegen, Sachsenhausen und Buchenwald, ab 1939 bis zum Kriegsende in Flossenbürg.

Seine Zeugenaussagen vor den amerikanischen Untersuchungsrichtern nach dem Krieg, auch sein kurz nach der Befreiung verfasster Bericht über das Leben in den Lagern bilden die Grundlage dieses Films, der in Konzeption und Ästhetik Erinnerungen an das Theaterstück „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ wachruft, das Peter Weiss 1965 auf der Grundlage der Gerichtsprotokolle des ersten Frankfurter Auschwitzprozesses (1963-1965) erarbeitete.

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Wie bei Weiss gibt es hier keine szenische Handlung, nur Menschen, die vom Grauen erzählen oder, auf der Anklagebank sitzend, ihre Haut mit Verweis auf die Befehlskette, ihr Unwissen oder die Rechtslage zu retten versuchen. Wie bei Weiss fällt dem gesprochenen Wort die Haupt- und den Richtern eine Statistenrolle zu.

Ein harter, erschütternder, bleibender Film

Und wie bei Weiss gibt es Mittel der Dramatisierung – in der „Ermittlung“ ist es die rhythmisierte Sprache, im „Zeugen“, bei dem Bernd Michael Lade auch Regie führte, ist es dreierlei: die Verdopplung der Aussagen durch Simultanübersetzung ins Englische (als Dolmetscherinnen herausragend: Maria Simon, Katrin Schwingel und Simone Hausdorf), der Wechsel zwischen Farbe und Schwarzweiß und die manchmal allzu dicke Unterstreichungen setzende Musikbegleitung.

Lade überzeugt mit zurückgenommenem Spiel, in dem sich langsam andeutet, dass Schrade nicht nur Erschütterndes mitzuteilen, sondern auch Geheimnisse zu wahren hat. Historiker werden an seiner Aussage auch Details bemerken, die sich Jahrzehnte später als Fiktion entpuppen sollten. Dennoch: ein harter, erschütternder, bleibender Film.

Drama D 2022, 93 min., von Bernd Michael Lade, mit Bernd Michael Lade, mit Maria Simon, Katrin Schwengel, Thomas Schuch, Simone Hausdorf, Torsten Spohn